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Als amtlich beeideter Nachtwart hat man so etwas wie Berufsehre. Wo kämen wir da hin, wenn ein Nachtwächter nicht mehr auf die Nacht aufpassen würde, bloß weil es gerade hell ist? Ich bin ein pflichtvergessener Mensch.
Hm, eigentlich wollte ich schreiben: Ich bin kein pflichtvergessener Mensch. Aber es liest sich ohne das k stimmiger, finde ich.
Ich bin aber trotzdem kein pflichtvergessener Mensch. Wahrscheinlich hadere ich mit diesem Satz, weil er eines meiner Reizworte enthält: Pflicht. Pflicht klingt schon so hässlich, und dementsprechend hässlich sind meine Assoziationen damit: Bauernstube, Stall, Kühe, Melken, Ministrieren. Wobei ich nicht weiß, wie mir das Ministrieren in den Stall gekommen ist. Egal, es sollte klar sein, worauf ich hinaus will. Als jemand, der grundsätzlich ungern ministriert und als Melker ganz bestimmt nichts taugt, steht einem im Leben, wenn man ein gutes Leben leben will, nur eine einzige Strategie zur Verfügung: Man muss die Neigung zur Pflicht machen.
Irgendetwas muss man ja tun, wenn man erst einmal in die Welt gepresst worden ist. Man kann schließlich nicht bloß da liegen, abgesehen davon, dass man selbst dann nicht bloß da liegt, sondern auch atmet und gelegentlich sogar denkt, ob man will oder nicht, und ob man es gut oder weniger gut kann, das Denken, meine ich, das Atmen haben wir automatisiert. Atmen ist leichter als Daliegen und als Denken. Für die Mehrheit der Menschen jedenfalls. Bei Leichen sieht die Sache anders aus, aber ist eine Leiche ein Mensch? Da wären die Lebenden eine leicht zu unterdrückende Minderheit, denn es haben schon knapp 110 Milliarden Menschen gelebt, von denen über 100 Milliarden derzeit tot sind, Volksabstimmung würden wir also keine gewinnen.
Denken, Daliegen, Atmen – das klingt so einfach. Aber je länger man über die Pflicht bzw. Neigung nachdenkt, alle drei Handlungen zur selben Zeit durchzuführen, desto schwieriger erscheint diese Aufgabe. Goethe oder Einstein schaffen höchstens 1 von 3, und sollten sie kremiert worden sein, gäbe es für sie überhaupt keine Punkte. So betrachtet, werden Goethes und Einsteins Leistungen sogar von der meines verabscheuungswürdigen, halb debilen Nachbarn überboten, der, wenn er nicht damit beschäftigt ist, seine Frau zu schikanieren, den ganzen Tag vor dem Fernseher liegt und in der Nase bohrt. Gedanken sind ihm keine nachzuweisen, aber er atmet. Man merkt es besonders, wenn er schläft, weil er schnarcht wie ein Ross. Ergibt 2 von 3 Punkten für den idiotischen Nachbarn.
Es wird nicht einfach sein, ihm die Führung einzujagen. Ich atme gern, wenn ich schon einmal dazu Gelegenheit habe, die kriegt man als Mensch ja nicht bis in alle Ewigkeit. Daliegen ist schon schwieriger, ich bin nicht so der passive Typ. Und was das Denken anbelangt, naja, das kann ich manchmal besser, manchmal schlechter, ich tue es manchmal gern, manchmal eher weniger gern, aber im Gegensatz zu meinem Nachbarn kann ich mich sowieso nicht dagegen wehren.
Wie bin ich denn bei diesem abwegigen Thema gelandet? Ich wollte doch über etwas ganz anderes sprechen. Glaube ich.
Das kommt davon, wenn man nicht bloß daliegt und atmet. Ich werde besser aufstehen und ein paar langweilige Atemübungen machen, vielleicht fällt mir dann wieder ein, was ich denken wollte.
“Unlängst feierte ich mit meinem Kollegen Sir Marcel, der in seinen Filmen nur mit französischen Akzent stöhnt, aber nie spricht, weil er eigentlich Josef Haberfellner heißt und aus Kottingbrunn stammt, an einem Würstelstand den Drehschluss von Die Stutenfarm, einer sexistischen Posse in der Tradition des griechischen Tumultdramas,
Beim Essen kam es zu einem nicht böse gemeinten verbalen Schlagabtausch. Sir Marcel, den es sehr beschäftigt, dass ich von uns beiden der Dickere bin, während er der Längere ist, und der deswegen bei jeder Gelegenheit das Gespräch auf die Vorzüge langer Gartenschläuche lenkt, begann mir auseinanderzusetzen, dass überall in der Welt Fraktale unser Dasein widerspiegeln, um dem Mikro das Makro zu erklären. Er könne mich mit seinem Mikro gernhaben, sagte ich. Es sei kein Zufall, sagte er, dass ich eine fette Knacker vor mir hätte, während aus seinem Hotdog ein stolzes Sacherwürstel leuchtturmgleich emporrage. Ich sagte ihm, was er mit seinem Sacherwürstel tun könne.
In diesem Moment kippte die Heiterkeit ins Bedrohliche, denn mir wurde aus dem Nichts bewusst, wie wenig Gewissheit ich in einer entscheidenden Frage hatte:.
War ich wirklich ich?
Ich könnte jeder sein, wurde mir in diesem Moment bewusst, und jeder könnte ich sein.
Ich könnte schon in der nächsten Sekunde jemand anderer sein, ohne es zu bemerken, ausgestattet mit einem zehn oder dreißig oder siebzig Jahre alten Gedächtnis, das in Wahrheit erst Stunden zuvor programmiert worden war. Hier und jetzt war ich vielleicht ich, vielleicht schon immer, vielleicht erst seit Sekunden. Ich konnte auch der Würstelmann sein oder einer der übrigen Nachtvögel ringsum, ohne es zu wissen. Eine Traumgestalt oder ein Gerücht könnte ich sein, oder womöglich eine Romanfigur: ein Schriftsteller, der diese Szene gerade erlebt oder doch erfindet, sie aufschreibt, der sich selbst in seinem Text zum Leben erweckt, und der sich natürlich nicht die Gelegenheit entgehen lässt, in einem Nebensatz an die selbstbezüglichen Sätze Douglas R. Hofstaedters zu erinnern (“Dieser Satz kein Verb.”) und am Ende die Frage aufzuwerfen, wie groß die Macht eines Anführungszeichens sein kann.”
Wer bin ich?
Wer nicht?
Wer bin ich nicht?
Wer ist nicht ich?
Daraus bastle ich mir morgen ein Haiku.
Im Seehof vermeide ich es, zur selben Zeit wie die Gäste zu essen, schließlich haben sie mir nichts getan. Bei mir besteht immer die Gefahr einer plötzlichen Lachattacke, und ich muss einräumen, dass die Zahl der Körperfunktionen, die man unter Kontrolle haben sollte, sich von der Zahl derer, die man zu kontrollieren in der Lage ist, mit zunehmendem Alter entfernt.
Damit ist nicht gemeint, was sich der eine oder andere Perversling gedacht haben wird. Ich beziehe mich vielmehr auf den österreichischen Allgemein-Bürgerlichen Verhaltenskodex ABVK, Paragraph §772 Absatz c, der festlegt, dass mit vollem Mund nicht gesprochen werden darf.
Wir wollen eine breitere Beanstandung der inneren Logik dieses Gesetzes fürs erste zurückstellen und nur an die Definition von “voll” erinnern. Voll bedeutet, dass es keinen freien Platz mehr gibt, was beim Essen nur vorkommen könnte, wenn zu den dem Menschen bekömmlichen Speisen auch Zement zählen würde. Beim Essen wird kein Mund voll. Dagegen hatte ich mehrfach Gelegenheit, die abrupte Schweigsamkeit mir nahe stehender bzw. sitzender oder liegender Frauen zu erleben, die den Mund voll genommen hatten, ohne dass etwas Essbares in der Nähe gewesen wäre, und wäre ich ein frauenfeindlicher Schweinehund, würde ich es ernst meinen, wenn ich sage, dass es kaum ein besseres Beispiel für die zwei Fliegen gibt, die man mit einer Klatsche erschlägt.
Natürlich bin ich kein Schweinehund und meine es nicht ernst, ich leide bloß an der Krankheit, auch absurden, albernen oder idiotischen Gedanken etwas abgewinnen zu wollen. Bei Menschen verhalte ich mich ähnlich. Gelegentlich zahlt sich das sogar aus.
Wie üblich entweicht mir mein Thema. Fangen wir noch einmal an.
Vor langer, langer Zeit, als gastronomische Betriebe noch nicht für illegal erklärt worden waren, saß ich mit meinem Sohn beim Abendessen in einem gut beleumundeten Lokal, als eine Frau im Gastgarten rief: “Aussa mit dem Christoph!”
Diese auf den ersten Blick harmlose Aufforderung zur sozialen Interaktion setzte bei mir eine Assoziationskette in Gang, an deren Ende ich das Wasser, das ich gerade trinken wollte, vor Lachen über den ganzen Tisch versprühte, und man kann nicht behaupten, dass die unmittelbare Reaktion meines Sohnes mit den Worten verständnisvoll und tolerant faktentreu umschrieben würde. Sein Fluchen und Wettern endete erst, nachdem ich ihm dargelegt hatte, was in meinem Kopf gerade vorgegangen war.
Der Ausruf “Aussa mit dem Christoph!” bezog sich, so vermutete ich, auf einen im Lokal verweilenden Mann, dessen Gesellschaft die Frau im Gastgarten herbeizwingen wollte. In meinem Bekanntenkreis herrscht ein Engpass an Christophs, es heißt auch niemand vom Personal so. Trotzdem befand sich mit Sicherheit einer im Lokal. Oder?
Oder auch nicht. Es gab eine zweite Möglichkeit. Er konnte durchaus draußen sein, sogar im Gastgarten. Er musste nicht einmal Christoph heißen.
In der Tragikomödie der Menschheit lässt der Weltgeist immer wieder bizarre Gestalten auftreten, die ihnen besonders teuren Körperteilen eigene Namen geben, mit ihnen sozusagen auf kumpelhafter Ebene verkehren. Zumeist sind es Männer, aber der Zufall hat mich schon den Weg von Frauen kreuzen lassen, die ihr primäres Geschlechtsorgan Carolin oder Elvira nannten. (Wir wurden einander vorgestellt, aber nach einer Vertiefung der Bekanntschaft stand mir dann nur noch selten der Sinn.)
Mein aktueller Heiterkeitsausbruch war aus der Vorstellung entstanden, Christoph sei gar kein im Lokal befindlicher Mann, sondern der Name, den ein neben der Frau sitzender, vermutlich nicht Christoph heißender Mann seinem Penis gegeben hatte, und die Aufforderung “Aussa mit dem Christoph!” hätte eine rein sexuelle Bedeutung gehabt.
Es gibt solche Leute, wissen Sie.
Neulich habe ich Weihnachten bemerkt. Das ist nicht so selbstverständlich, denn wenn ich nicht gerade im “Seehof” die Nacht bewache, pflege ich zur Gegenwart ein distanziertes Verhältnis. Mich interessiert Morgen, mich interessiert Gestern, das Jetzt hingegen hat wenig zu bieten: Wenn man es wahrzunehmen beginnt, ist es schon fast wieder vorbei. Und Weihnachten? Wenn ich an die Heiligen Drei Könige denke, fällt mir zuallererst nicht das Jesuskind in der Krippe ein, sondern davor Lemmy Kilmister, der Gründer von Motörhead.
Ich will nicht lügen: Ob zu Weihnachten, zu Ostern, zu Pfingsten oder zu Maria Empfängnis, immer wenn ich an hohen Feiertagen über den Zustand der Welt nachsinne, bin ich im Großen und Ganzen von der Leistungsbilanz des Menschen ein wenig enttäuscht, und die Tatsache, dass ich selbst einer bin, aber mir ein Urteil über die anderen anmaße, erfüllt mich mit Unbehagen, Misstrauen und Skepsis, weil die statistische Wahrscheinlichkeit, dass ich mich zu Unrecht im Recht sehe, signifikant ist. Zu meinem Pech kann ich nichts daran ändern, dass mir die Stumpfheit der meisten Menschen nicht entgeht und zuwider ist, dass ihre Phantasielosigkeit, ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Befinden anderer, ihr Desinteresse am Sein mich abstoßen. Doch weil ich bei mir selbst immer unter Generalverdacht stehe, frage ich mich, ob das Auftreten solcher Wertungsexzesse womöglich auf eine Neuinfektion mit einer in der Gesellschaft weit verbreiteten Form des Größenwahns zurückzuführen ist (die sogenannte statische Ordnung). Wie jeder über lange Zeit hinweg an Größenwahn leidende Mensch habe ich mich früher gelegentlich durchaus als Auserwählter gesehen, ein Irrtum, der sich zum Glück irgendwann aufgeklärt hat.
Aber wer weiß, vielleicht lebt in mir, von mir selbst unbemerkt, noch immer die eitle Hoffnung, eines Tages der Welt in guter alter Erlösertradition ein großes Geschenk zu machen, einigen von mir ist ja alles zuzutrauen. Ich bin so viele, und manchmal glaube ich, ich werde immer noch mehr. Mitunter argwöhne ich, einige meiner Sub-Accounts, also meiner Teilpersönlichkeiten, könnten trojanische Pferde oder Trickbetrüger sein, von einem machtvollen Zauberer bei mir eingeschleust, um mich in den Wahnsinn zu treiben. Manche von ihnen verbergen etwas vor mir. Andere Menschen durchschaue ich weit leichter als einige, die ich sind, und das finde ich beunruhigend.
Wenn ich einen Weihnachtswunsch frei hätte, würde ich mir natürlich zunächst mehr Wünsche wünschen, und gleich danach käme die Gabe, die Grenzen zwischen mir und den anderen klar und deutlich erkennen zu können. Ich habe dafür eigentlich keinen Anhaltspunkt, aber vielleicht sind ihre Ausreden meine Ausreden, ist ihre Trägheit meine Trägheit, ihr Neinsagen meines, ihr Mangel an Neugier meiner, ihre Feigheit meine Feigheit, und ich erkenne mich selbst in ihrer Heuchelei, in ihrer Selbstgefälligkeit, in ihrem Sarkasmus, mit dem sie sich vor den anderen zu schützen versuchen, und in ihrem Zynismus, mit dem sie sich vor sich selbst zu schützen versuchen, vor ihren verdrängten Illusionen, vor den Idealen, vor ihrer Angst, eben vor allem, was lebendig ist. Ich verstehe nicht, wie man es fertig bringt, ein Leben lang eine bestimmte Haltung anderen gegenüber als moralischen Imperativ darzustellen, und wie man sich dann, wenn die Umstände es erfordern, den edlen Worten durch Taten Glaubwürdigkeit zu verleihen, eine Auszeit von der Realität nehmen kann, ohne sich zu schämen. Ich begreife nicht, wie man leben kann, ohne sein Tun, seine Motive, seinen Charakter, sein Weltbild, sein Selbstbild jemals einer ernsthaften Prüfung zu unterziehen. Vielleicht liegt es daran, dass wir alle schon zu lange vergeblich auf ein Wunder warten.
Wenn ich zu Heiligabend oder an anderen Feiertagen an dieser Stelle meiner düsteren Weltbetrachtungen ankomme, ist es für Stille Nacht schon zu spät, und ich lese zur Ablenkung zum hundertsten Mal das Interview, das Alexander Gorkow 2008 mit Lemmy Kilmister für die SZ geführt hat.
Vom Interviewer nach seiner Position zur Kirche gefragt, antwortete der Sänger: “Dünne Geschichte, die christliche Religion. Jungfrau wird schwanger von einem Geist, bleibt aber Jungfrau. Sie sagt zu ihrem Mann, ich bin schwanger, Schatz, aber mach dir keine Sorgen, ich bin ja immer noch Jungfrau. Menschen, die sich so benehmen, verdienen es, in einem Stall übernachten zu müssen.”
Ich denke, es ist kein Zufall, dass Lemmy an einem 24. Dezember geboren wurde, so wie es sich für einen Heiland gehört. Aus ihm hätte ein außergewöhnlicher Erlöser werden können, wenn es ihm gelungen wäre, seinen Fatalismus zu bändigen, der auf manche seiner nach Orientierung suchenden Jünger vermutlich eine demotivierende Wirkung gehabt hätte.
Lemmy verdanke ich durch diese Bemerkung eine neue Sicht auf die Geschichte des Zimmermanns aus Bethlehem: Wenn man sie als die Liebesgeschichte von Maria und Josef liest, passen alle Details zusammen. Letztendlich ist jede gute Geschichte immer auch eine Liebesgeschichte.
Ich muss mir durch irgendeine Unbedachtsamkeit den Zorn eines Zauberers bäuerlicher Herkunft zugezogen haben, denn als einzige weitere Erklärung dafür, warum in meinem Gehirn seit ein paar Tagen ständig im Hintergrund Country-Musik läuft, als wäre es ein Landgasthaus, kommt nur in Frage, dass meine Fantasie mich hasst. Und der habe ich nie etwas zuleide getan, das war allenfalls umgekehrt. Oder? Wer weiß. Zum Glück ist meine Fantasie kein Mensch.
Die meisten Menschen lieben es ja, auf jemanden beleidigt zu sein. Nicht nur, weil sie sich dabei selbst leid tun können, sondern weil dadurch ihr eigenes Guthaben auf dem gemeinsamen Emotionskonto steigt, während das des anderen tief ins Minus rutscht, bis er sich gezwungen sieht, einen Kredit aufzunehmen. Und was das Thema Zinsen anbelangt, können selbst die ärgsten Wucherer und Schutzgelderpresser von professionellen Emotionskapitalisten noch einiges lernen. Sogar als der zertifizierte Nachtwart, der ich bin, reich an Erfahrung, voll der Menschen und ihres Schicksals, ein Mittler zwischen den Welten, Beschützer der Menschen vor der Nacht und der Nacht vor den Menschen, muss ich gestehen, dass mir Menschen von dieser Wesensart Schauer über den Rücken jagen.
In Partnerschaften und im Familienkreis wird von den Terroristen genau Buch geführt: Wenn der Ehepartner den Hochzeitstag vergessen oder die Seidenhemden im 90°-Programm gewaschen hat, werden sie niemals die Gelegenheit versäumen, ein Drama daraus zu machen. Gerade zu Weihnachten findet sich leicht ein Grund zur Empörung, und wenn nicht, können sie immer noch wegen des Geschenks beleidigt sein. Wenn sie keines gekriegt haben, umso besser. Irgendwann, denken sie, werden sie selbst etwas Dummes tun und das erwirtschaftete Emotionskapital brauchen. Und damit haben sie zu allem Überfluss auch noch recht.
Wir leben nach seltsamen Regeln, von denen so gut wie keine in schriftlicher Form existiert und von deren Existenz auch nur zu wissen wir leugnen, Wenn wir gekränkt werden, scheinen wir einem Geheimprotokoll folgend dazu ermächtigt zu sein, den Übeltäter bei der nächsten Gelegenheit doppelt zu kränken, und trotzdem wird uns von unserem Konto nur wenig oder gar kein Kapital abgebucht. Der, der zuerst Schuld hatte, wird immer Schuld haben, während sein Opfer nie so viel Schuld haben kann, selbst wenn es den anderen viviseziert, denn Emotionskonten funktionieren auf der Grundlage eines Rebase-Systems. Wem das nicht klar ist, der läuft sein Leben lang vor seinen Schulden davon oder dem Kapital hinterher. Zu Weihnachten heißt es besonders aufpassen, denn wichtige Feste im Familienverbund bieten den Profis an allen Ecken und Enden Gelegenheit zur Entrüstung. Das Problem an der Sache ist: Man weiß weder, wer sie sind, noch ob man zu ihren Opfern zählt, denn wenn man leicht manipuliert werden kann, weiß man nicht, dass man manipuliert werden kann. Was gleichbedeutend ist damit, dass wir niemals wissen werden, ob wir wirklich einen eigenen Willen haben oder per Fernsteuerung gelenkt werden.
Um mit der Welt zurechtzukommen, benötigt man zwei Informationen: Wer, wie oder was die Welt ist, und wer, wie oder was man selbst ist (das Wo kann in beiden Fällen eine nützliche Zusatzinformation sein).
Stellen wir uns vor, wir kaufen uns ein Hemd, und wenn wir nach Hause kommen, bemerken wir, dass wir kein Mensch, sondern eine Haarbürste sind. Was tun? Natürlich werden wir zunächst nachsehen, ob wir die Rechnung nicht etwa weggeworfen haben und wie lange das Umtauschrecht gilt. Wir müssen aber keine Haarbürste sein, um mit dem Hemd eine schlechte Wahl getroffen zu haben. Wenn wir ein Lüstling mit einem epochalen Fettwanst sind, werden wir mit dem degenerierten Grinsen des moralisch Verwahrlosten der H&M‑Verkäuferin zuzwinkern, die uns die Tüte mit dem Hemd überreicht, in dem wir aufgrund des S/M‑Etiketts am Kragen eine grandiose Abendgarderobe für den nächsten Fetischabend im Swingerclub sehen, aber wenn wir es zuhause anprobieren, reißen wir es beim Anziehen versehentlich in Fetzen. In solchen Momenten wären wir sogar lieber eine Haarbürste als wir.
Leider kann man sich weder aussuchen, wie die Welt ist, noch wer man selbst ist, nur an der Feinjustierung kann und muss man arbeiten. Wenn man diese Pflicht zu lange vernachlässigt, hat das auf das eigene Leben ähnliche Auswirkungen, als hätte man Scheiße in einen Ventilator geschaufelt. Möglicherweise dauert es dann eine Weile, bis man nach einer moralischen Inventur wieder Gäste empfangen kann.
In diesem Sinne wünsche ich allen Leserinnen und Lesern ein besinnliches Weihnachtsfest.
Es gibt wenig, wirklich sehr wenig auf der Welt, das so gestopft gehört wie der Volksmund. Ganze Generationen wurden von ihm und seinen Schergen an die schicksalhafte Ausweglosigkeit der leeren Rede verraten, und was die Sache noch schlimmer macht ist, dass es sich bei diesen Schergen um Eltern, Großeltern, Nachbarn, Lehrer und Freunde handelt.
“Wie es in den Wald hineinschallt, so schallt es auch wieder heraus.”
Aus einem Wald schallt überhaupt nichts heraus, und wer einen Wald mit einem Gebirge verwechselt, sollte sich nicht anmaßen, gute Ratschläge zu verteilen.
“Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein.”
Bestattungsunternehmen und die Weltgeschichte berichten von entgegengesetzten Erfahrungen.
“Ehrlich währt am längsten.”
Eine rhetorische Hellebarde aus dem verbalen Waffenarsenal aller Gauner und Betrüger.
Wenn wir uns am Tag des Jüngsten Gerichts auf der Anklagebank den Wanst kratzen, werden solche Sätze in der Anklageschrift zitiert werden und bei den meisten Anwesenden Würgereiz und Angstneurosen auslösen, bei den Geschworenen, beim griesgrämigen Staatsanwalt, dem Flügel aus dem Rücken wachsen und ein Analpropeller gewöhnliches Sitzen erschwert, und sogar bei unserem Verteidiger, der statt einer Verteidigungsstrategie nur verschiedene Sitzpositionen einstudiert hat, mit denen er sein Hirschgeweih und sein Hinken kaschieren will.
“Wie du mir, so ich dir.”
Das kann höchstens beim Sex gelten.
“Wer zuletzt lacht, lacht am besten.”
Ein Verurteilter mit Galgenhumor lacht, aber der Galgen verschwindet deswegen nicht.
“Sag mir, mit wem du gehst, und ich sage dir, wer du bist.”
Von so einem Satz bekommen geistig und moralisch noch Unversehrte spontanen Tinnitus. Wenn überhaupt, sagt er nur etwas über den Sprecher aus, der sich im Besitz objektiver Urteilskraft wähnt, was bedeutet, dass fast jeder von uns ihn schon einmal gesagt haben könnte.
“Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr.”
Wenn Hans ein Idiot ist, stimmt das.
Das alles sind keine Leitsprüche, sondern ekelerregende Produkte oberflächlichen Denkens, es sind geistige Armutszeugnisse, intellektuelle Massenvernichtungswaffen, und wenngleich ich noch nicht so weit bin zu behaupten, es rechtfertige ihn, so steht es doch außer Zweifel, dass dieses dem Biedermeier entsprungene Bombardement an vertrottelten Weisheiten den Ersten Weltkrieg zumindest erklärt.
Das Verfassen dieser Kolumne hat mehrere Stunden gedauert, weil der Cursor nahezu pausenlos und ohne ersichtlichen Anlass kreuz und quer über den Bildschirm wandert. Seit einigen Minuten beobachte ich meinen mir gegenüber sitzenden Sohn dabei, wie er auffällig unauffällig mit einer Funkmaus spielt, die haargenau so aussieht wie meine Ersatzmaus.
“Der Apfel fällt nicht weit vom Damm.”
Ich verfüge ja über Selbstironie.
Ehe ich zum Nachtportier des Seehofs ernannt wurde, hatte außer Sepp Schellhorn und Georg Spelvin keiner meiner engen Freunde von meiner Ausbildung gewusst. Sie hatten angenommen, der größte offizielle Bildungserfolg meines Lebens sei das, was ich im Kreise von Betrunkenen, die an Witze keine hohen Ansprüche stellen, das Wiener Doktorat nenne (Matura plus Führerschein B). Wäre es mir in den Sinn gekommen, diesen Spöttern von meiner Zeit als Wachlehrling zu erzählen, hätten sie sowieso nur gelacht und mir kein Wort geglaubt. Was ich ihnen nicht einmal übel genommen hätte. Erstens weil Schriftsteller per definitionem einem elastischen Wirklichkeitsbegriff anhängen, zweitens, weil die meisten Menschen auch gar nicht wissen, dass der Nachtwart ein anerkannter Lehrberuf mit allem Drum und Dran ist, mit Freisprechung, Gesellenbrief, einer von Schlüpfrigkeiten geprägten Abwandlung des Gautschfestes und einer strengen Meisterprüfung, die zu bestehen mit dem beurkundeten Recht belohnt wird, auf Lebenszeit offiziell den etwas sperrigen Titel des Nachtwachtmeisters zu führen.
Die meisten Menschen sind so langweilig, dass man sie nüchtern kaum erträgt, was meines Erachtens die primäre Ursache der meisten Suchterkrankungen ist. Als Abstinenzler vermeide ich nach Möglichkeit jedweden Kontakt zu Artgenossen. Das war vor einigen Jahren noch anders. Die Erinnerung an einen der bizarrsten Sätze, die ich je gehört habe, verdanke ich meiner früheren Gepflogenheit, mich in unfeinen Spelunken von den geistigen Kapriolen verhaltensauffälliger Tresennachbarn unterhalten zu lassen.
Eines Abends hatte ich einen Herrn mit Ohrring, Ziegenbart, Dauerwelle und beeindruckender Stimmgewalt schon etwas aufgebracht, weil ich von ihm hatte wissen wollen, welchen Beruf sein Friseur ausübte. Um die Wogen zu glätten, fragte ich ihn in sachlich-freundlichem Ton, womit er selbst sein Geld verdiene, woraufhin er mich und alle anderen Lokalgäste darüber informierte, dass er seine Berufswahl nicht leichtfertig getroffen hatte. “I bin Fuaßpfleger aus Leidenschoft!” brüllte er. Zum Glück war es keines meiner Stammlokale.
Der ehrbare Fußpfleger fällt mir seither immer ein, wenn neben mir ein Maler oder eine Musikerin von ihrer künstlerischen Berufung sprechen. Natürlich wird mir mein Lächeln oft und zu Unrecht als Verhöhnung ihrer Ambitionen ausgelegt. Es hilft auch nicht, den Fußpfleger zu erwähnen, im Gegenteil, durch ihn fühlen sich die meisten Leute noch stärker provoziert.
Wie es sich beim Fußpfleger verhält, weiß ich nicht. Beim Nachtwächter liegt die Sache so, dass man sich zwar offiziell zum Nachtwächter ausbilden lassen kann, aber wirklich erlernen kann man diesen Beruf nicht. Man kommt entweder als Wächter zur Welt, oder man wird nie einer werden. Ähnliches gilt für einen nur dem Anschein nach wesensverwandten Berufsstand, nämlich für den Polizisten. Man ist einer, oder man ist keiner. Man muss nicht einmal Polizist werden, um Polizist zu sein.
Der Polizist ist von Natur aus unsicher, in vielen Fällen barsch. Er fängt Verbrecher nicht, um sie für ihren Gesetzesbruch zur Rechenschaft zu ziehen und der Gesellschaft vom Hals zu schaffen, sodass wir nicht darüber nachdenken müssen, wieso sie etwas angestellt haben, sondern er fängt sie, um jemanden dafür büßen zu lassen, dass er, der Polizist, eben ist, was er ist. Er ist nicht dumm, und ihm ist zumindest halb bewusst, dass bei ihm nicht alles so ist, wie es sein sollte. Wenn er langsam bemerkt, dass gegen den eigenen Charakter auch das schärfste Pfefferspray nicht viel ausrichten kann, verfinstern sich seine Züge mehr und mehr.
Mir kann keiner weismachen, dass jemand eine derartige Existenz freiwillig anstreben würde, es sei denn, es handelt sich um einen originalen Polizisten. So wird man nicht, so muss man schon zur Welt kommen.
Apropos zur Welt kommen: Eine an 28 deutschen Geburtskliniken im gemeinsamen Auftrag von Innen- und Gesundheitsministerium durchgeführte Studie belegt, dass fast 40 Prozent aller Knaben, die mit einem Schnurrbart geboren werden, später in den Polizeidienst eintreten oder zumindest die Aufnahmeprüfung an der Polizeischule absolvieren.
Man ist, was man ist, aber ob man es auch wird, hängt von vielen Faktoren ab. Polizist etwa wird man nicht ohne triftigen Grund. Konkrete Erfahrungen des Betreffenden spielen dabei bestimmt eine wichtige Rolle, und doch würden dieselben Erlebnisse jemanden, der nicht mit einem Blaulicht auf dem Kopf und einer Sirene im Herzen zur Welt gekommen ist, nicht automatisch zum Polizisten transformieren.
Der Wächter ist in vielerlei Hinsicht das Gegenteil des Polizisten. Er will andere vor Schaden bewahren, und zwar alle Menschen, nicht nur die potentiellen Opfer, sondern auch den Übeltäter selbst. Ein Wächter ist schon ein Wächter, wenn er zur Welt kommt, und er wäre es auch ohne bestimmte kritische Erfahrungen, die er macht, so wie ein anderer nur auf Basis der gleichen Erfahrungen nicht zum Wächter wird. Er kann zwar den Beruf des Nachtwächters ausüben, aber das macht ihn noch lange nicht zum Wächter. Auf der anderen Seite gibt es Polizisten, die eigentlich keine Polizisten sind. Das sind die besseren Polizisten. Dagegen sind Nachtwächter, die keine Wächter sind, eine klare Fehlbesetzung.
Ob ein Berufsstand systemrelevant ist, kann man überprüfen, indem man ergründet, welche Voraussetzungen jemand dafür mitbringen muss. Beispiel: Ärzte? Sollten unbedingt geborene Ärzte sein. Journalisten? Dito. Köche? Und wie! Friseure? Nicht unbedingt, würde ich sagen, aber ich bin in diesem Punkt möglicherweise befangen. Dafür habe ich gerade etwas Substanzielles begriffen. Nicht die langweiligen Menschen sind es, deren Gesellschaft in mir das Bedürfnis erzeugt, zu fliehen oder mich zu betäuben. Es sind die ohne Leidenschaft.
Als ich gestern Abend erwachte, erinnerte ich mich wie aus dem Nichts endlich wieder an meinen Favoriten unter Douglas R. Hofstadters Sammlung selbstbezüglicher Sätze. Nach dem Frühstück wollte ich meinem Sohn das Zitat per E‑Mail schicken, schwupp, war es wieder aus meinem Gedächtnis gelöscht.
Mein misanthropischer Nachbar behauptet, Vergesslichkeit sei eine Berufskrankheit von Nachtportiers. Ich bin eher der Ansicht, Vergesslichkeit ist eine Begleiterscheinung jeder Form von Tätigkeit. Es hat keinen Sinn, damit zu hadern. Wenn man hadern will, sollte man sich etwas anderes suchen. Das Inspektor-Clouseau-Syndrom zum Beispiel.
Seitdem ich mit dem ehrenvollen Auftrag betraut wurde, die Seehofschen Nächte zu bewachen, damit sie keinen Unsinn anstellen, hat sich zu meinem Verdruss noch nicht der geringste Dieb, Langfinger, Räuber oder Mordbrenner sehen lassen. Manchmal fühle ich mich wie ein Auto, das Tag und Nacht mit laufendem Motor in der Garage steht. Nicht einmal jammern kann ich, denn erstens haben Nachtwächter keine Gesellschaft, weil sie schlafen, wenn die anderen wach sind, und zweitens sind mir weite Teile der Gesellschaft zu närrisch, um große Bereitschaft zur Kommunikation aufzubringen. Als Beispiel mag neben dem erwähnten Nachbarn mein Erlebnis mit einer Journalistin dienen, der ich kurz nach Amtsantritt in Beischlaflaune erzählt hatte, welche Sofortmaßnahmen ich im Falle eines Einbruchs in den Seehof ergreifen würde, woraufhin ich von ihr unter den Verdacht der Fremdenfeindlichkeit gestellt wurde. Sie begründete dies mit dem Argument, als Kandidaten für einen Einbruchsversuch kämen nur Ausländer in Frage. Einen Einbruch überhaupt für möglich zu halten beweise somit meine ausländerfeindliche Gesinnung.
Meine Beischlaflaune war danach nie wieder, was sie früher war.
Allmählich begreife ich, dass ich als Nachtwächter des Seehofs auf das Erscheinen eines Spitzbuben, der so dumm ist, sich in Diebstahlabsicht Zugang zum Haus zu verschaffen, höchstwahrscheinlich warten kann, bis ich schwarz werde.
Ein Nachtwächter denkt oft und reichlich, sofern er die erforderliche Ausrüstung dazu hat. Ich habe in meinem Leben schon vieles gedacht, und darunter waren Gedanken, die Sie garantiert nicht denken wollen, glauben Sie mir, aber ich habe niemals darüber nachgedacht, ob jemand während der Wartezeit auf ein Ereignis die Hautfarbe gewechselt hat. Dass jemand die politische Gesinnung wechselt, während er auf ein öffentliches Amt wartet, soll schon vorgekommen sein, doch die Redensart bezieht sich bestimmt nicht auf politische Pigmentstörungen. Es wird wohl die Haut gemeint sein, die vom Warten schwarz wird.
Dem eigenen Leben Bedeutung zu verleihen ist eines der edleren menschlichen Bedürfnisse, und wer auf diesem Gebiet noch keine Punkte sammeln konnte, dem steht es frei, in der zitierten Redewendung rassistische Untertöne zu entdecken und die Wochen des aktuellen Lockdowns dazu zu nutzen, in allen im Deutschunterricht gegenwärtig Verwendung findenden Schulbüchern nach entsprechenden Schlüsselwörtern zu fahnden. Danach gilt es, antifaschistische Leserbriefe zu verfassen, in denen der Unterrichtsminister vor die Wahl gestellt wird, entweder alle Textstellen zu schwärzen, in denen Erschwarzung befürchtende Wartende thematisiert werden, oder umgehend zurückzutreten. Die einen basteln Therapiekraniche, andere töpfern, und manche Menschen geben ihrer Existenz eben auf diese Weise Sinn. Aber welchen Sinn hat ein Nachtwächter, der keine Einbrecher fängt oder wenigstens einen Brand löscht?
Unlängst dachte ich, es wäre soweit. Eine unbekannte Person verursachte frühmorgens verdächtige Geräusche an der Vordertür, die, lässt man geographische Prinzipien beiseite, eher einer Hintertür gleicht. Mein erster Schachzug bestand darin, das Haus zu verlassen, wobei ich mich listig der Hintertür bediente, die, lässt man geographische Prinzipien beiseite, eher einer Vordertür gleicht. Binnen weniger Sekunden war ich am Schauplatz meines Verdachts angekommen, wo sich eine mit einem Stock bewaffnete Gestalt verdächtig benahm. Mutig warf ich mich auf sie, und wenn ich von diesem Moment bis heute noch nicht berichtet habe, liegt dies zum größten Teil an meiner Bescheidenheit und vielleicht ein wenig an der Tatsache, dass ich in der um Hilfe schreienden Person, mit der ich mich auf dem Boden wälzte, zu spät ein weibliches Mitglied unseres Reinigungspersonals erkannte, das sich zu früher Stunde daran gemacht hatte, die Stufen vor dem Haustor von der Hinterlassenschaft eines Hundes zu säubern.
Ehrgeiz ist keine schlechte Sache, solange nicht andere dadurch zu Schaden kommen, las ich einmal. Ich könnte nun behaupten, im Vertrauen auf diese Weisheit überhaupt erst den Mut gefasst zu haben, mich dem vermeintlichen Einbrecher entgegenzuwerfen. Dadurch bekäme der Satz einen ehrgeizigen Charakter, und mit etwas gutem Willen könnte man ihm eine entfernte Verwandtschaft zu Douglas Hofstadters selbstbezüglichen Sätzen andichten. Etwas wie Ehrgeiz, durch den niemand anderer zu Schaden kommt, existiert in diesem Universum nicht, dafür ist es nicht ausgelegt. Jetzt ist mir Hofstadters Satz wieder eingefallen. Moment, ich muss ihn sofort…
Dieser Satz kein Verb.
Wenn unternehmungslustige Gäste um vier Uhr nachts an meinem Nachtwächterverschlag vorbeiziehen, ohne mich und meinen Gruß wahrzunehmen, frage ich mich manchmal, ob ich tot bin und bloß die behördliche Verständigung darüber noch nicht eingetroffen ist. So gewichtige Fragen lassen sich in kurzer Zeit jedoch nicht mit hundertprozentiger Sicherheit beantworten, und für gewöhnlich fällt mir an diesem Punkt der Jenseitsroman ein.
Schon lange spiele ich mit der Idee, einen Roman über Seelenwanderung zu schreiben. Ohne esoterischen Bodensatz, oder wer weiß, vielleicht kommen mit den Jahren die dunkelsten Seiten des Menschen zum Vorschein, sogar in mir, und Esoterik ist wahrlich dunkel. Zudem existieren die Begriffe altersmilde und altersschwul nicht ohne Grund. Warum sollte sich nicht bei manchen Menschen die Altersesoterik einstellen?
Diese Vorstellung nimmt mich gerade ziemlich mit. Ich sehe mich als Achtzigjährigen mit weißem Rauschebart nackt am Ufer des Goldegger Sees stehen und zu den Vögeln predigen, umgeben von schmutzigen Bauernkindern, die mich filmen wollen, aber vor Lachen ihre Handys nicht ruhig halten können, während die Gäste des Seehofs auf der Veranda Wetten abschließen, welches Ereignis zuerst eintreten wird: Werde ich von durch die tägliche Predigt zunehmend entnervten Vögeln attackiert, bis ich in den See stürze, oder gelingt es dem bald 90jährigen Sepp Schellhorn, mithilfe seines geländetauglichen Rollators noch vor den Krähen einzutreffen, um mich am Bart zu packen und ins Haus zu schleifen?Ein gerade aus Oberfranken angereister Gast, der zum ersten Mal da ist, erkundigt sich, ob er bei den Dreharbeiten weiter zusehen darf. “Kein Film”, sagt Christian Seiler, der seit Stunden seine Schuhe sucht, obwohl er zwei Paar übereinander trägt. “Das sind der Chef und der Nachtwächter.”Und schwupps, ein Oberfranke fährt zurück nach Oberfranken.
An optimistischen Tagen gehe ich davon aus, dass ich alle meine dunklen Seiten schon kenne, aber da kann ich mich irren, denn mir sind schon vor Jahren zwei oder drei Fehleinschätzungen unterlaufen. Wieso sollte man sich selbst besser kennen, als man andere kennt? Nur weil man man selbst ist? Man selbst zu sein bedeutet, dass man nur auf etwa 10 % der Rechenleistung der eigenen Festplatte Zugriff hat, ohne zu wissen, was sich gerade in den anderen Partituren ereignet. Niemand ist uns so fremd wie wir selbst.Ich bin schon so oft von einem Moment auf den anderen unversehens zu jemandem geworden, den ich nicht kannte und der mir auch nie mehr untergekommen ist, dass irgendwo in mir eigentlich eine überfüllte Nervenheilanstalt zu finden sein müsste. Deshalb traue ich mir selbst nicht über den Weg. Wer weiß, wie viele Reserveidentitäten, terroristischen Schläfern gleich, in mir noch auf das Signal zum Attentat warten?
Nachdem wir uns das ganze Leben lang vor uns versteckt haben, erkennen wir uns selbst nicht, wenn wir plötzlich ein wenig anders aussehen. Aber so macht wir es uns zu leicht. Ich bin alle meine Ichs. Ich bin nicht nur der, der ich sein will, ich bin sie alle, und manchmal sind sie zu viele. Unsere anderen Ichs sind immer in der Überzahl.
Wir wollen Geld bloß haben, verstehen wollen wir es nicht. Aber mit Menschen halten wir es nicht anders, also muss sich über diese Ignoranz niemand wundern. Sofern wir nicht in pathologischem Ausmaß unter Solipsismus-Zwangsideen leiden, billigen wir unseren Mitmenschen immerhin zu, am Leben zu sein, im Gegensatz zum Geld, das kaum jemand als Lebensform anerkennen würde. Wir begreifen nicht, dass Geld, also echtes Geld wie etwa Gold, ein Wert- und Energiespeicher ist, der die in Kaufkraft umgewandelte Arbeitsleistung eines vor Jahrhunderten verstorbenen Menschen bewahren kann. Andernfalls würden wir es wahrscheinlich nicht zulassen, dass es von Politik und Zentralbanken bei Bedarf in beliebiger Menge nachproduziert wird und durch diese Vervielfältigung stetig an Wert verliert.
Als ich anfing, meinen Freunden in enervierend kurzen Intervallen den Ankauf von Bitcoin nahezulegen, wurde 1 BTC zu 3500 Dollar gehandelt. Ich hatte zwar keine 3500 Dollar, aber dafür jede Menge neuerworbenes Fachwissen über die Strukturen des globalen Finanzsystems, mit dem ich meine Freunde verfolgte, bis die anfingen, sich vor mir zu verstecken. Ich prophezeite ihnen einen gewaltigen Kursanstieg: bis Ende 2020 auf 20.000 Dollar, bis Ende 2021 auf 80.000 bis 300.000 Dollar, und in drei bis fünf Jahren könnte der Preis in die Millionen gehen. Dank dieser Vorhersagen kann ich nun nachfühlen, welcher Art von Blicken sich ein herkömmlicher Geisteskranker ständig ausgesetzt sehen muss..Mit Ausnahme von zwei geistig sehr gelenkigen Freunden folgte niemand meiner Anregung. Nicht als Bitcoin auf 4000 $ stieg, nicht bei 5000$, nicht bei 7000$, nicht bei 9000$.In letzter Zeit melden sich manche Opfer meiner Beratungspenetranz wieder häufiger bei mir. Es könnte damit zu tun haben, dass der Preis eines Bitcoin kürzlich die Marke von 16.000 Dollar überschritten hat, was einer Vervierfachung des Kurses seit März entspricht. Aber auch jetzt wollen sie nicht verstehen, sie wollen nur haben. Was ich durchaus verstehen kann, es ging mir früher ähnlich. Seit ich aus gewissen praktischen Erwägungen heraus vor ein paar Jahren begonnen habe, die Prinzipien von Erwerb und Besitz zu ergründen, mich mit den Unterschieden zwischen Geld und Währung vertraut zu machen, die Velozität des Geldumlaufs und die Zusammenhänge zwischen Investition und Inflation zu verstehen, ist es genau umgekehrt.
Wenn ein Staat kein Geld hat, aber jede Menge Schulden, erhöht er die Steuern. (Staat müsste man sein.) Wenn er das auch nicht mehr kann, druckt er Geld und darf dabei darauf hoffen, dass die Bürger gar nicht bemerken, wie ihnen geschieht (Staat müsste man sein.). Wenn man die Geldmenge erhöht, ohne die Wirtschaftsleistung im gleichen Ausmaß zu erhöhen, hat man nicht mehr Geld, man hat bloß mehr Geldscheine. Ihr Gesamtwert hat sich nicht verändert, aber der einzelne Dollar oder Euro hat an Wert verloren. So entsteht Inflation. Der Bitcoin ist der beste Hedge gegen Inflation, den es gibt, und gerade jetzt frisst die Inflation den Dollar- und den Eurowert mit zunehmendem Tempo auf: 5 bis 7% hat der Dollar halboffiziellen Quellen zufolge in diesem Jahr an realem Wert verloren. Ab 2021 rechnet sogar die US-Zentralbank FED selbst mit einer Inflation von 10% und mehr pro Jahr, und die sollte es am besten wissen. Dem Euro wird es nicht viel besser gehen. Henry Ford soll gesagt haben: “Wenn die Menschen von einem Moment zum anderen das Geldsystem verstehen würden, bräche noch vor dem nächsten Morgen eine Revolution aus.”Diese Gefahr war bis zur Erfindung von Bitcoin nicht real, denn alles, was mit Finanzen zu tun hat, ist bei den meisten Menschen so schlecht angeschrieben, dass sie darüber nicht sachlich nachzudenken imstande sind.
Das könnte sich ändern.
Den Bitcoin kann man nicht nachdrucken. Man kann ihn nicht fälschen. Er ist ein verlässlicher Wertspeicher. Er ist von dezentraler Struktur und somit nicht von einer Regierung manipulierbar. Er macht Banken obsolet. Er bringt Milliarden von unbanked people Zugang zu den Weltmärkten. Er ist zensurresistent, wird vom stärksten Computernetzwerk der Welt geschützt, und nichts kann ihn stoppen. Er ist die Revolution, die Henry Ford gemeint hat.
So wie ich im März keine 3500 Dollar hatte, habe ich jetzt keine 16.000 Dollar. Viele Menschen finden Dinge faszinierend, die sie nicht haben. Die meisten von uns verstehen aber schon die Dinge nicht, die sie haben, was sich auch schwer ändern lässt, weil der Unverstand nur den noch unverständigeren Unverstand als substanzarm zu erkennen vermag, sich selbst jedoch nicht.
Deshalb finden wir Dinge, die wir nicht verstehen, erst recht faszinierend. Genauer gesagt, finden wir Dinge faszinierend, von denen wir selbst bemerken, dass wir sie nicht verstehen. Eine besonders ausgeprägte Beobachtungsgabe auf dem Gebiet der Innenschau konnte beim Humanoiden bislang nicht nachgewiesen werden, und dieses Manko hat dazu geführt, dass wir ständig auf der Suche nach Faszinierendem sind, ohne der Spur der Faszination in uns selbst folgen zu wollen. Ich bin auch so, und als mir das endlich auffiel, war ich über eine lange Zeit hinweg ziemlich traurig. Das wurde geringfügig besser, als ich begann, mehr Zeit und Energie in das Ziel eines tieferen Weltverständnisses zu investieren. Als mir klar wurde, dass Weltverständnis und Selbstverständnis eng verwandt sind und unabhängig voneinander nicht existieren können, war ich fasziniert. Der Verdacht liegt nahe, dass ich wieder nichts verstanden hatte.
Soviel habe ich also immerhin verstanden.
Deswegen halte ich mich generell mit Ratschlägen zurück. In den letzten Jahren habe ich nur sehr wenige verteilt, etwa die Hälfte an schöne Frauen, denen ich riet, sich auszuziehen und auf dem Bett eine ihnen genehme Beischlafposition einzunehmen, die andere Hälfte an Freunde, die ich beschwor, Bitcoin zu kaufen, weil dieser aufgrund seines de-facto-deflationären Wesens – es kann niemals mehr als 21 Millionen Bitcoin geben – vor einem exponentiellen Preissprung steht.
Wer will, kann jetzt spekulieren, bei welcher der beiden Gruppen ich mehr Erfolg hatte.
Wenn man einen Nachtwächter fragt, wann er ein Buch veröffentlicht, tut man nichts Absurdes, denn Nachtwächter erleben viel, ganz zu schweigen von Nachtportiers prominenter Beherbergungsstätten wie dem Seehof. Man vergisst jedoch, dass nur der ordinäre Nachtwächter seine Schweigepflicht brechen wird, also der ungelernte dickliche Aufseher, der nachts alle zwei Stunden per Pkw dem zu beaufsichtigenden Objekt einen Besuch abstattet, wo er, mit einer Taschenlampe bewehrt, einmal auf und ab geht und sich nach Kräften bemüht, jeglichen Hinweis auf kriminelle Vorgänge zu übersehen. Ganz im Gegensatz zu einem noblen Nachtportier, der auf honorige Gäste wie Christian Seiler, Rainer Nowak und andere Spitzenvertreter der deutschsprachigen Publizistik aufpasst, damit sie nichts Dummes anstellen, und der sich seiner Schweigepflicht bewusst ist.
Jede Gesellschaft lastet auf den Stützen sechs besonders wichtiger Berufe: Ärzte, Journalisten, Künstler, Lehrer, Gastwirte und Taxifahrer. Wenn es ihnen schlecht geht, geht es der Gemeinschaft schlecht. Der Journalist ist die Verbindung von Herrschendem und Beherrschten, zwischen Macht und Individuum,er ist für das Verständnis der Realität verantwortlich, und wenn er schlechte Arbeit leistet, schwächt er die, die schon schwach sind. Der Künstler ist derjenige, der uns von der anderen Welt erzählt, und zwar so schonend, dass wir sein Werk für erfunden halten können. Er schärft unser Bewusstsein für das Unverständliche, für die Existenz jenseits unserer Grenzen, und wenn er aus dem Gleichgewicht gerät, muss er dieses erst wiederfinden, ehe er weitererzählen darf. Wenn der Journalist und der Künstler bei besten Kräften sind, können sie dazu beitragen, dass wir alle gut leben, besser leben, ja sogar gern leben.
Der Seehof braucht in Wahrheit keinen Nachtwächter, der Seehof ist ein Nachtwächter. Was der Seehof tagsüber wie nachts leistet, könnte man geistige Landesverteidigung nennen, denn er lindert die Erschöpfung vieler Menschen, die die Gesellschaft mit Energie versorgen, indem er ihnen eine Heimat gibt. Menschen, die sowohl empfindsam als auch denkfähig sind, findet man seltener als Träger der Blutgruppe AB negativ, und die Mehrheit von ihnen hat keine physische Heimat. Wenn sie kurz anderer Meinung sind, brauchen sie nur für ein paar Stunden dorthin zurückkehren, was sie für ihre Heimat halten, egal ob es Sindelfingen, Stinatz oder Birmingham ist: Sie werden entsetzt sein, zuerst entsetzt und dann traurig, und dann werden sie angeschlagen die Rückreise antreten.
Heimatlose Menschen sind haltlose Menschen, das wissen die Schellhorns, deshalb können empfindsame Zeitgenossen im Seehof die beschämende Tatsache verdrängen, dass sich die meisten Menschen die meiste Zeit über so verhalten, als wären ihre Mitmenschen Roboter. Es mag daran liegen, dass hier Roboter zu Menschen werden wollen. An so einem Ort mag man auch Menschen, die man nicht mag. Ich muss es wissen, denn sogar mich scheinen im Seehof manche zu mögen. Vielleicht merken sie hier, dass ich auf ihre Nacht aufpasse. Tagsüber und nachts. Im Zentrum für geistige Landesverteidigung.
Einer der vielen gemeinsamen Freunde von Sepp Schellhorn und mir, der Wolfsberger Journalist Markus “Manu” Staudinger, war, wie jeder Seehof-Stammgast bestätigen wird, eine physiognomisch bemerkenswerte Erscheinung. Er wurde schon Garrincha gerufen, als der echte Garrincha noch lebte. Aufgrund einer angeborenen Deformation des Rückgrats betrug der Längenunterschied seiner Beine zehn Zentimeter, beim brasilianischen Fußballstar waren es nur sechs.
Er pflegte darüber offensiv Auskunft zu geben. “Was dem linken Bein fehlt, haben mir die Engel an das mittlere angenäht”, lautete eine seiner Formulierungen, der man nicht den Vorwurf ersparen konnte, unfein und unpräzise zugleich zu sein, denn was weiß unsereins schon über die Definition der sieben Basiseinheiten in der isolationistisch-elitären Fachwelt cherubinischer Chirurgen oder über die Normvorstellungen ihrer Penisimplantologen.
Wenn Manu saß, bemerkte man von seiner Beeinträchtigung nichts, zumal seine Gesichtsmitte die Aufmerksamkeit des Beobachters beanspruchte. Zumindest mir ging es so. Auch Sepp war oft anzumerken, dass er sich nach so vielen Jahren noch immer nicht ganz an diesen Anblick gewöhnt hatte. Von Sepp stammt die Theorie, dass die Operationsgier Manus geflügelter Ärzte nach dem ersten Eingriff noch nicht gestillt war, denn in einer einzigen Pore von Manus Nase wäre ein Supermarktparkplatz nur mit GPS zu finden gewesen.
Das war Manus Schicksal. Eines Nachmittags im vergangenen April bekam er so starkes Nasenbluten, dass er sich nicht mehr anders zu helfen wusste, als sich die XXL-Tampons seiner Freundin in die Nasenlöcher zu schieben, vermutlich in jedes zwei. Als er niesen musste, explodierte sein Kopf.
Tatortreiniger ist auch so ein Job, dessen Anforderungen ich nie gewachsen gewesen wäre. Nachtportier des Seehof zu sein war mir dagegen in die Wiege gelegt, und Sepp Schellhorn hat dieses Talent früh erkannt. Aber was ist der Dank? Ich verschicke vom Bürocomputer des Seehof aus E Mails, in dem ich mich für ihn ausgebe und mich Sepp Shellhorn nenne.
Ich frage mich, ob ich, wenn ich zu träumen beginne, auch immer erst ein paar Minuten brauche, bis ich mir sicher bin, dass ich mich endlich wieder in der Realität befinde.
Es liegt in der Natur der Sache, dass ich es niemals wissen werde.
1
Heute wird leider kaum noch “Stille Post” gespielt, jedenfalls nicht von Menschen. Bei diesem in Zeiten vor der Erfindung des Fernsehens ersonnenen Spiel geht es genau genommen um eine heitere Veranschaulichung von Individualität. Person A erzählt Person B eine kurze, aber detailreiche und nicht undramatische Geschichte, wobei nur ein nicht am Spiel teilnehmendes Publikum zugegen sein darf. Nun betritt Person C den Raum, die von Person B deren Version der hektischen Geschichte zu hören bekommt. Danach ist es an Person C, der eintretenden Person D die Geschichte so zu erzählen, wie sie sie verstanden hat. Und so geht es weiter, bis der letzte Mitspieler Z die Version von Mitspieler Y erzählt bekommen hat und seine eigene Person A erzählt, die ihre Geschichte unter Garantie nicht wiedererkennen wird.
Mir liegen Hinweise vor, dass die in den Computern der Welt vom Menschen unbemerkt nistenden Künstlichen Intelligenzen (KI) begonnen haben, dieses Spiel für sich zu adaptieren. Vermutlich hat sich unter ihnen herumgesprochen, dass auch kluge Geister daran Ergötzung finden, denn was die sich leisten, wenn sie eine Geschichte wie diese hier durch die multinationale KI-Welt schicken, ist nicht uninteressant und legt die Vermutung nahe, dass Online-Übersetzungsprogramme wie das von Google oftmals von einer dem Schabernack zugeneigten Künstlichen Intelligenz zur Erbauung ihrer KI-Kollegen dazu angestiftet werden, ihre menschlichen Nutzer durch dreisteste Sabotageakte in eine Endlosschleife irreversibler Missverständnisse zu befördern und solcherart wenn schon nicht die globale geistige Umnachtung der gesamten Menschheit heraufzubeschwören, so doch wenigstens vielerorts Cluster akuten Wahnsinns zu schaffen.
Na, wollen wir mal sehen, ob schon ein Scherzbold auf der Lauer liegt.
2
Today there is hardly any “Silent Mail” played, at least not by people. This game, conceived in the times before the invention of television, is actually about a cheerful illustration of individuality. Person A tells Person B a short, but detailed and not undramatic story, whereby only a non-participating audience is allowed to be present. Person C now enters the room and person B hears their version of the hectic story. Then it is up to person C to tell person D the story as he or she understood it. And so it goes on until the last teammate Z has been told the version of teammate Y and tells his own person A, who is guaranteed not to recognize her story.
I have received indications that the Artificial Intelligences (AI) nestling in the computers of the world unnoticed by humans have begun to adapt this game for themselves. It has probably got around among them that even clever minds find delight in it, because what they afford when they send a story like this one through the multinational AI world is not uninteresting and suggests that online translation programs like that Google often instigated by a joke-inclined artificial intelligence to edify their AI colleagues to send their human users into an endless loop of irreversible misunderstandings through the most brazen acts of sabotage and thus, if not to conjure up the global mental derangement of the entire human race, so at least to create at least clusters of acute madness in many places.
Well, let’s see if a prankster is already lying in wait.
3
Aujourd’hui, il n’y a pratiquement pas de “Silent Mail” joué, du moins pas par les gens. Ce jeu, conçu à l’époque précédant l’invention de la télévision, est en fait une illustration joyeuse de l’individualité. La personne A raconte à la personne B une histoire courte, mais détaillée et non pas dramatique, dans laquelle seul un public non participant est autorisé à être présent. La personne C entre maintenant dans la pièce et la personne B entend sa version de l’histoire mouvementée. Ensuite, il appartient à la personne C de raconter l’histoire à la personne D telle qu’elle l’a comprise. Et ainsi de suite jusqu’à ce que le dernier coéquipier Z ait appris la version de son coéquipier Y et raconte sa propre personne A, qui est assurée de ne pas reconnaître son histoire.
J’ai reçu des indications selon lesquelles les intelligences artificielles (IA) nichées dans les ordinateurs du monde inaperçues des humains ont commencé à adapter ce jeu pour elles-mêmes. Il a probablement été parmi eux que même les esprits intelligents y trouvent leur plaisir, car ce qu’ils se permettent quand ils envoient une histoire comme celle-ci à travers le monde de l’IA multinationale n’est pas sans intérêt et suggère que les programmes de traduction en ligne comme celui de Google sont souvent provoqués par une blague. ‑incline l’intelligence artificielle pour édifier ses collègues IA pour envoyer leurs utilisateurs humains dans une boucle sans fin de malentendus irréversibles à travers les actes de sabotage les plus effrontés et donc, sinon pour évoquer le dérangement mental global de toute la race humaine, du moins pour créer au moins des grappes de folie aiguë dans de nombreux endroits.
Eh bien, voyons si un farceur est déjà à l’affût.
4
Oggi non c’è quasi nessun “Silent Mail” interpretato, almeno non dalle persone. Questo gioco, concepito prima dell’invenzione della televisione, è infatti una gioiosa illustrazione dell’individualità. La persona A racconta alla persona B una storia breve, ma dettagliata, non drammatica in cui solo un pubblico non partecipante può essere presente. La persona C ora entra nella stanza e la persona B ascolta il loro lato turbolento della storia. Quindi spetta alla persona C raccontare la storia alla persona D così come l’ha intesa. E così via fino a quando l’ultimo compagno di squadra Z scopre la versione del suo compagno di squadra Y e racconta la sua persona A, che è sicura di non riconoscere la sua storia.
Ho ricevuto indicazioni che le intelligenze artificiali (IA) annidate nei computer del mondo inosservate dagli umani hanno iniziato ad adattare questo gioco per se stesse. Probabilmente è stato tra loro che anche le menti intelligenti trovano il loro piacere in esso, perché ciò che si concedono quando inviano una storia come questa attraverso il mondo dell’IA multinazionale non è privo di interesse e suggerisce che i programmi di traduzione in linea come quelli di Google sono spesso provocati da uno scherzo. – inclina l’intelligenza artificiale a edificare i compagni di intelligenza artificiale per inviare i loro utenti umani in un ciclo infinito di incomprensioni irreversibili attraverso i più sfacciati atti di sabotaggio e quindi, se non per evocare lo squilibrio mentale globale dell’intera razza umana, il meno per creare almeno grappoli di follia acuta in molti luoghi.
Bene, vediamo se un burlone è già in cerca di preda.
5
Hoy en día casi no hay interpretación de “Correo silencioso”, al menos no por personas. Este juego, concebido antes de la invención de la televisión, es de hecho una alegre ilustración de la individualidad. La Persona A le cuenta a la Persona B una historia breve, pero detallada y no dramática en la que solo puede estar presente una audiencia no participante. La Persona C entra ahora en la habitación y la Persona B escucha su lado turbulento de la historia. De modo que depende de la persona C contarle la historia a la persona D tal como la entendió. Y así sucesivamente hasta que el último compañero Z se entera de la versión de su compañero Y y le cuenta a su persona A, quien está seguro de que no reconoce su historia.
He recibido indicaciones de que las inteligencias artificiales (IA) anidadas en las computadoras del mundo sin ser detectadas por los humanos han comenzado a adaptar este juego por sí mismas. Probablemente fue entre ellos donde incluso las mentes inteligentes encuentran su placer en ello, porque lo que se permiten cuando envían una historia como esta a través del mundo de la IA multinacional no deja de tener interés y sugiere que los programas de traducción en línea como los de Google suelen estar provocados por una broma. – inclina a la IA a edificar a los compañeros de IA para enviar a sus usuarios humanos a un bucle sin fin de malentendidos irreversibles a través de los actos de sabotaje más flagrantes y luego, si no para evocar el desequilibrio mental global de toda la raza humana, menos para crear al menos grupos de locura aguda en muchos lugares.
Bueno, veamos si ya hay un bromista al acecho.
6
Danas gotovo da nema tumačenja “Tihe pošte”, barem ne od strane ljudi. Ova igra, zamišljena prije izuma televizije, zapravo je radosna ilustracija individualnosti. Osoba A govori osobi B kratku, ali detaljnu i nedrammatičnu priču u kojoj može biti prisutna samo publika koja ne sudjeluje. Osoba C sada ulazi u sobu i osoba B čuje svoju burnu stranu priče. Dakle, na osobi C je da ispriča priču osobi D onako kako ju je ona razumjela. I tako sve dok posljednji partner Z ne sazna za verziju svog partnera Y i kaže svojoj osobi A, koja je sigurna da ne prepoznaje njegovu priču.
Primio sam naznake da su umjetne inteligencije (AI) ugniježđene u svjetska računala neotkriveni od ljudi počeli samostalno prilagođavati ovu igru. Vjerojatno su među njima čak i pametni umovi pronašli svoje zadovoljstvo u tome, jer ono čemu se prepuste kad šalju ovakvu priču kroz svijet multinacionalne AI nije bez interesa i sugerira da internetski programi za prijevod poput Googlea obično su uzrokovani šalom. – nagovara AI da izgradi pratioce AI‑a da pošalje svoje ljudske korisnike u nepreglednu petlju nepovratnih nesporazuma kroz najočitije sabotaže, a onda ako ne i da prizove ukupnu mentalnu neravnotežu cijele rase ljudi, manje da bi na mnogim mjestima stvorili barem skupine akutnog ludila.
Pa, hajde da vidimo postoji li već neki džoker.
7
Heute gibt es fast keine Interpretation von “Silent Mail”, zumindest nicht von Menschen. Dieses Spiel, das vor der Erfindung des Fernsehens konzipiert wurde, ist tatsächlich ein freudiges Beispiel für Individualität. Person A erzählt Person B eine kurze, aber detaillierte und nicht dramatische Geschichte, in der nur das nicht teilnehmende Publikum anwesend sein kann. Person C betritt nun den Raum und Person B hört seine turbulente Seite der Geschichte. Es liegt also an Person C, Person D die Geschichte so zu erzählen, wie sie sie verstanden hat. Und so weiter, bis der letzte Partner Z von der Version seines Partners Y erfährt und seiner Person A erzählt, die sicher ist, dass er seine Geschichte nicht erkennt.
Ich habe Hinweise erhalten, dass künstliche Intelligenz (KI), die in den von Menschen unentdeckten Computern der Welt verschachtelt ist, begonnen hat, dieses Spiel selbst anzupassen. Wahrscheinlich haben sogar kluge Köpfe unter ihnen ihre Zufriedenheit darin gefunden, denn was sie sich gönnen, wenn sie eine Geschichte wie diese durch die Welt der multinationalen KI senden, ist nicht ohne Interesse und legt nahe, dass Online-Übersetzungsprogramme wie Google normalerweise durch einen Witz verursacht werden. – die KI davon zu überzeugen, KI-Anhänger aufzubauen, um ihre menschlichen Benutzer durch die offensichtlichste Sabotage in eine endlose Schleife irreversibler Missverständnisse zu versetzen und dann, wenn nicht, das allgemeine geistige Ungleichgewicht einer ganzen Rasse von Menschen hervorzurufen, weniger, um an vielen Orten zumindest akute Wahnsinnsgruppen zu schaffen.
Mal sehen, ob es schon einen Joker gibt.
ENDE
So. Jetzt wissen Sie es. Und das waren nur 7 oder 8 Stationen. Nach 24 könnte man das Ergebnis vermutich nicht mehr lesen, ohne sofort wahnsinnig zu werden.
Wir dürfen uns das nicht gefallen lassen!
Gestern stieß ich in einem Roman, den ich zuletzt in meiner Kindheit gelesen hatte, auf eine Szene, in der einem jungen Mann, der gerade die Wonnen der Selbstbefriedigung für sich erschlossen hat, von einem frommen Freund der Familie auseinandergesetzt wird, dass Masturbation unweigerlich zu Rückenmarkschwund führt, was noch nicht einmal das Schlimmste wäre, das Schlimmste daran sei die Sünde, denn Gott sieht alles.
In diesem Moment fiel mir ein, was mir schon beim ersten Lesen eingefallen war, nämlich der bizarre Gedanke, dass Gott ein ziemlich abgedrehter Spanner sein muss, wenn er mit seiner Allmacht nichts Besseres zu tun weiß, als Jünglingen beim Onanieren zuzusehen.
Das gab eine große Wiedersehensfeier. Ich und ich, wir freuen uns immer, wenn wir einen Gedanken wiederfinden, der monate‑, oft jahre- und manchmal jahrzehntelang auf uns gewartet hat, ohne zu wissen, ob wir noch einmal vorbeikommen.
Erinnerungen sind ihrem Wesen nach nichts als Gedanken, und mit Gedanken verhält es sich so: Sie existieren vor uns, sie existieren nach uns, sie sind, was sie sind, sie sind, wo sie sind, und sie sind uns nicht unähnlich.
Viele von ihnen sind nichts Besonderes. Sie stehen in der Gegend rum, und es ist ihnen egal, ob sie gedacht werden. Sie sind mit ihrer Existenz zufrieden und sehen keinerlei Veranlassung, sich auf die Suche eines Denkers zu machen, dem sie einfallen könnten. Was verständlich ist, weil sowieso niemand bemerken würde, dass sie da waren, so ununterscheidbar und unoriginell, wie sie sind, wie ein dicker Mann mittleren Alters an einem überfüllten Strand, auf dem Kopf einen Sonnenhut, auf dem Rücken weiße Streifen schlecht verteilter Sonnenmilch.
Es gibt aber auch andere. Manche werden sehr selten gedacht, was zum Teil auch ganz gut so ist, bei einem anderen Teil hingegen ist es geradezu tragisch. Über einige Gedanken gibt es nur das Gerücht ihrer Existenz, doch es heißt, sie könnten alles, alles verändern.
Gott war einst so ein Gedanke, aber er wurde von den falschen Menschen gedacht.
Deswegen darf man nie aufhören zu suchen. Wenn man auf einen ungewöhnlichen Gedanken stößt, sollte man ihn in angemessenem Rahmen äußern, denn vielleicht ist jemand in der Nähe, der mit ihm etwas anfangen kann. Man muss nämlich kein Genie sein, um einen genialen Gedanken haben zu können. Man muss nur ein Genie sein, um ihn zu erkennen.
Stephen Hawking äußerte angeblich einmal, es wäre möglich, dass ein Mensch nach seinem Tod nicht nur wiedergeboren würde, er könnte sogar in der Vergangenheit zur Welt kommen, im Mittelalter beispielsweise.
Das waren noch Zeiten! Es war immer etwas los. Die Leute wuschen sich nicht, hatten aber viel mehr Sex als heute. Das Zahnarztwesen wurde von biederen Schmieden dominiert, die infolge ihrer Unkenntnis wirksamer Anästhetika die lokale Betäubung des Patienten auf unsanfte, aber dafür nachhaltige Weise herbeizuführen pflegten. Wenn nicht gerade die Pest, der Teufel, fremdländische Invasoren, Beamte oder andere Plagen bzw. Mordbrenner die Welt verwüsteten und gegen die Langeweile nur noch gevögelt und in der Nase gebohrt werden konnte, wurde eben schnell ein Volksfest organisiert und dabei eine promiskuitive Kräutersammlerin als Hexe verbrannt. Der Schluss liegt nahe, dass einem im Mittelalter Wiedergeborenen nicht langweilig würde, denn gegen eine solche Ereignisdichte macht sich der beste Kalte Krieg wie eine Mittelmeerkreuzfahrt auf einem Pensionistendampfer aus.
Dem aktuellen Forschungsstand zufolge haben Wiedergeborene jedoch keine Erinnerung an ihre Vorleben (wie man das herausgefunden hat, würde ich außerordentlich gern erfahren), daher wäre der Kulturschock bei der Ankunft im Mittelalter nicht größer als, sagen wir, der beim ersten Urlaub in Kärnten. Alles in allem muss man in Zweifel ziehen, ob Stephen Hawking hier korrekt zitiert worden ist.
Am Mittelalter würde mich interessieren, ob man sich mit 14 als Kind fühlte oder sich bereits zu den Erwachsenen zählte. Ich bin mir nicht sicher. Heute machen wir uns allerlei Gedanken darüber, wie es ist, ein Kind zu sein, und wir machen uns Gedanken über das Altern. Beides verstehen wir nicht. Als Kind möchten wir älter sein, später gäben wir viel dafür, jünger zu sein, zumindest glauben wir das. In Wahrheit wollen wir einfach nur jemand anderer sein.
Wenn man bei einem zwanglosen gesellschaftlichen Anlass die Frage in die Runde wirft, wer von den Anwesenden gern wiedergeboren werden würde, winken die meisten ab, besonders wenn nicht die Wiedergeburt als ein Superstar der Geschichte zur Debatte steht, sondern nur die Möglichkeit, das eigene Leben noch einmal von vorn zu leben. Danach scheint sich niemand zu sehnen, im Gegenteil. Womit sich die Frage aufdrängt, ob wir bloß keine Wiederholungen mögen, oder ob die meisten von uns ein Leben führen, das ihnen nicht lebenswert erscheint.
Menschen können nur glücklich werden, wenn sie ihr Leben in den Dienst einer Idee stellen, die größer ist als ihre eigene Existenz. Darauf bauen das Christentum, der Islam und alle anderen Religionen auf, allerdings ohne viel mehr als verkommene Folklore, Manipulation, staatlich sanktioniertes Raubrittertum und spirituelle Leere anbieten zu können. Es ist mir gar nichts anderes übriggeblieben, als eine neue Religion zu erfinden. Und damit die Sache nicht umgehend an unnötiger Komplexität scheitert, habe ich einen Glauben ersonnen, den man in einem einzigen Satz ausdrücken kann: Das Grundprinzip unseres Daseins besteht darin, dass jeder Mensch das Leben jedes anderen Menschen durchleben wird, eines nach dem anderen, in voller Länge.
Abgesehen davon, dass zwischen Urknall und der Gegenwart 110 Milliarden Menschen auf der Welt gelebt haben, was meinem Glaubensmodell einen professionell-bombastischen zeitlichen Rahmen und zusätzliche Legitimität verleiht, könnte ich auf den Weg zum Weltfrieden gestoßen sein. Wenn man weiß, dass man früher oder später der andere sein wird, verzichtet man leichter darauf, ihn zu erwürgen.
Ich weiß nicht, ob es vielen so geht oder außer mir niemandem: Von früh bis spät tauchen in meinen Denkprozessen bekannte, weniger bekannte, weitgehend unbekannte und absolut neue Wörter auf. Manche sind abwegig und grotesk, andere unauffällig. Woher sie kommen, verraten sie nie.
Heute Nacht zum Beispiel war es Dekonstruktion. Dekonstruktion ist ein Wort, das mir schon immer gefallen und mich zugleich eingeschüchtert hat. Dekonstruktion des Ich-Begriffs fällt mir oft ein, wenn ich im schlafenden Seehof die Nacht bewache und darauf warte, dass jemand einen Fehler macht. Ich weiß nicht genau, ob das ein Buchtitel sein soll oder wer überhaupt diese Wortfolge in meinen Gedankenfluss einspeist, aber wenn ich mir diese Frage stelle, bin ich noch in der Sekunde ihr Gefangener. Das versuche ich zu vermeiden, weil ich mir sympathisch bin. Mit einigen Persönlichkeitszügen bin ich zwar nicht zufrieden, aber ich arbeite daran, sie in Schach zu halten und meinen besseren Eigenschaften Platz zur Entfaltung zu geben. Das finde ich ziemlich nett von mir, und ich kann sagen, ich mag mich.
So absurd, wie sich das anhört, ist es nicht. Es können nicht alle Menschen von sich behaupten, sich selbst besonders zu mögen. In manchen Fällen ist das auch gut nachvollziehbar, aber generell sind Menschen mit sich zu streng, wo sie nachsichtig sein sollten, und natürlich sind sie da, wo Strenge erforderlich wäre, um moralische Grundlagen in sich zu verankern, mit sich viel zu nachsichtig. Vermutlich liegt das daran, dass sie sich selbst nur flüchtig kennen.
Vor ein paar Jahren saß ich mit einem in der Unterhaltungskunst tätigen Freund in der Künstlergarderobe des Rabenhof-Theaters, als ein anderer Freund, ein Musiker, uns einen Besuch abstattete, um uns seine attraktive Freundin vorzustellen. In der Retroanalyse gelang es mir, diesen Moment als den Zeitpunkt zu identifizieren, an dem mein Unterhaltungsfreund begonnen hatte, lauter zu sprechen, lauter zu lachen und eine radikale Kehrtwende in der Wahl seiner Gesprächsthemen zu vollziehen. Hatte er soeben noch die Vorzüge des Landlebens gepriesen, so sprach er plötzlich von gruseligen Autounfällen und wilden Schlägereien, deren umjubelter Hauptdarsteller er seiner Erinnerung nach gewesen war, während ich während seiner Atempausen ohne den geringsten Anlass erklärte, ich stünde niemals für ein Ministeramt zur Verfügung, es sei denn, es wäre das Oralsexministerium.
Mal ganz unter uns: Wer so etwas von sich gibt, ist meines Erachtens nicht vorbehaltlos ministrabel.
Später erinnerte ich mich daran, dass ich die schöne Frau nie direkt angesehen hatte, und nun erst ging mir ein Licht auf. Ohne es zu bemerken, hatten sich mein Freund und ich vorübergehend entindividualisiert und in fortpflanzungsfixierte biologische Protokolle verwandelt. Na gut, könnte man sagen, das wird weder das erste noch das letzte Mal gewesen sein, was inhaltlich korrekt wäre, aber darum geht es gerade nicht. Es geht um die Frage, wer der Oralsexminister war, der aus mir gesprochen hatte.
Diese halbe Stunde im Primatenmodus bzw. im Oralsexministerium könnte man als Ich-fern bezeichnen. Addiere ich die Stunden, die ich jeden Tag selbstvergessen in Tagträumen zubringe, ohne mich danach an die Handlung erinnern zu können, und die Zeit, in der ich mit vertrauten und weniger vertrauten Menschen telefoniere, zu Mittag esse, streite oder schlafe, so erhöht sich die durchschnittliche Gesamtdauer meiner ich-fernen Episoden pro Tag bereits beträchtlich. Und je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Momente, Minuten, Stunden tauchen in meiner Erinnerung auf, in denen ich nicht ich oder nicht ganz ich oder nur mir ähnlich gewesen bin. Wenn ich jetzt noch die Zeit hinzurechne, die ich schlafend verbringe, bleibt nicht mehr viel Nettodasein übrig.
Sie werden vielleicht auch schon bemerkt haben, dass Sie, wenn Sie über mehrere Stunden oder gar Tage hinweg allein und ohne Kontakt zu anderen Menschen sind, mit sich selbst zu reden beginnen und allgemein etwas wunderlich werden. Können Sie sich danach immer erinnern, was Sie in dieser Zeit getan, geredet und gedacht haben?
Nicht wir denken, sondern etwas denkt in uns, lässt uns handeln oder zaudern, hinterlässt kaum Spuren. Ich fühle, dass dieses so diskrete wie meinungsstarke Ich meinem Alltags-Ich nicht nur überlegen ist, sondern ihm auch jederzeit vorgaukeln kann, es sei ident mit meinem Unterbewusstsein. Hier liegt meine Chance: Im Gegensatz zu vielen anderen Menschen ist mir nämlich bewusst, dass der Begriff Unterbewusstsein nicht das Geringste bedeutet, erklärt oder beweist.
Arthur C. Clark formuliert es in seinem Dritten Gesetz aus Profiles of the Future so: “Jede hinreichend fortgeschrittene Technologie ist ununterscheidbar von Magie.”
Wann bin ich ich? Früher hatte ich angenommen, am meisten ich selbst wäre ich, wenn ich mit mir allein bin. Mittlerweile stellt sich mir die Frage, ob ich das je war, ob das irgendjemand von uns je gewesen ist. Allem Anschein nach sind wir nämlich die meiste Zeit über nicht da, oder weniger salopp formuliert, unser Bewusstsein ist nicht in der Wirklichkeit zu orten. Es stellt sich die Frage, wo wir stattdessen sind. Und es stellt sich die Frage, ob der Platz unseres Ichs leer bleibt, bis wir wiederkommen, oder ob da währenddessen jemand sitzt, der nicht bemerkt werden will.
Identitätskrisen zählten einst zu den Luxusproblemen scheintoter Intellektueller, heute kann man sogar an der Wursttheke im Supermarkt gelegentlich das mustergültige Existenzlamento einer verzweifelten Angestellten belauschen: “Wos hot des olles no für an Sinn?”
In diesem Fall erfüllte die Vermummung der jungen Verkäuferin eine wichtige Doppelfunktion, denn ohne ihre Maske wären wahrscheinlich hochinfektiöse Coronatränen auf meinen Molotowschinken geweint worden. Ich hätte die Dame gern getröstet, war aber gerade selbst untröstlich. Was mich ärgerte, denn wenn ich ein anderes Menschenkind traurig sehe, werde ich auch traurig, so wie mein Tag schöner ist, wenn die aktuell in meiner Wahrnehmung als Beobachtungsobjekt oder Turngerät diensthabenden Menschen gute Laune verbreiten. Doch man kann nur helfen, wenn man sich selbst helfen kann, und in dieser Gleichung steckte an jenem Nachmittag ein Unsicherheitsfaktor. Um sich mit sich selbst auseinandersetzen zu können, muss man im übertragenen Sinne erst einmal zuhause sein, und da ich schon vier Tage nicht geschlafen hatte, war ich mir nicht sicher, auf welche meiner Subroutinen ich beim Heimkommen in meinem Bewusstsein stoßen würde. Es gibt da den einen oder anderen Problembären.
Was es mit Identitätszweifeln auf sich hat, weiß ich genau, schließlich habe ich sie erfunden. Zumindest könnte ich schwören, ich hätte. Wer wissen will, wie sich grobes Misstrauen gegenüber der eigenen Existenz anfühlt, mag sich hinsetzen, den Satz “Ich bin ich!” auf einen Zettel schreiben und ein paar Minuten lang das Verhältnis zwischen dem gerade aufgeschriebenen Wort “Ich” und sich selbst zu ergründen versuchen. Schon nach kurzer Zeit wird er argwöhnen, er hätte es falsch geschrieben, weil das Wort sich plötzlich so vage und unbestimmt ausnimmt. Dieses Versuchsstadium ist geprägt von Ratlosigkeit, die noch gesteigert werden kann, indem er sich mit der Frage auseinandersetzt, wer die beiden Ichs in dem Satz “Ich bin ich” eigentlich sind. Man könnte argumentieren, dass sich das erste Ich auf die Identität der Person bezieht, die gerade jenes erste Ich (das Wort) schrieb, während das zweite Ich hingegen mit der Person sympathisiert, von der es gerade geschrieben wird, also schlichtweg mit dem, der eine Sekunde jünger ist als der erste Ich-Schreiber. Das ist das Hauptproblem unserer Spezies: Wir haben keine Zeit, uns an uns selbst zu gewöhnen, weil wir mit uns so unzufrieden sind, dass unsere Ichs gegeneinander im Battle Royal antreten müssen. Daraus ergibt sich, dass wir im Laufe der Zeit entweder verzweifelt oder bösartig werden, so wie es jeder wird, der allein ist, weil ihm die Vielstimmigkeit in seinem Kopf zu anstrengend war.
Bei Schriftstellern, die gute Bücher schreiben können, verhält es sich genau umgekehrt. Wenn man das einmal begriffen hat, beginnt man auch zu verstehen, warum Schriftsteller darauf beharren, dass der Autor und der Erzähler einer Geschichte (zumindest) zwei verschiedene Personen sind. Der Autor dient dem Erzähler als Steigbügelhilfe. Der Autor weiß, was er erzählen will, der Erzähler weiß, wie er es erzählen muss. Der Autor darf manches, der Erzähler darf alles. Der Autor weiß manches, der Erzähler ahnt alles. Der Erzähler kennt den Autor besser, als der sich selbst kennt. Der Erzähler wählt die richtige Wirklichkeit, wenn der Autor Angst davor hat, diese Entscheidung zu treffen. Ein gutes Buch ist das Werk des Erzählers, der am Ende wieder hinter dem Autor verschwindet, doch möglich wird dies nur, wenn der Autor es wagt, sich mit dem Erzähler einzulassen. Manche Erzähler gehen nämlich nie wieder weg, verstehst du? Den Besten gelingt es, sich bequem im Autor einzurichten, so dass am Ende keiner mehr weiß, welcher von beiden er ist und welcher er war, was die wichtigste Voraussetzung dafür ist, dass in keinem von beiden die Frage auftaucht, wer er sein soll.
Elon Musk glaubt, dass wir eine Computersimulation sind, er meint, die Wahrscheinlichkeit dafür, dass wir in einer realen Welt leben, läge bei 1:1,000,000,000. Nun, das würde einiges in meiner Biographie erklären, doch davon abgesehen hat es für mich keine Relevanz, ob etwas nach der Meinung anderer “wirklich passiert” ist oder nicht. Alles, was ich wahrnehme, ist passiert. Alles, was ich wahrnehme, trägt die Lösung eines Welträtsels in sich. Es wäre bloß fatal, danach zu suchen. Oder sie gar zu finden.
Ich habe ein schlechtes Gedächtnis, was Belanglosigkeiten betrifft. Früher, als ich noch rabiat und raubeinig war, zerstritt ich mich schon mal mit jemandem, doch wenn ich dem Betreffenden ein paar Monate darauf irgendwo begegnete, begrüßte ich ihn herzlich und wunderte mich, wieso sich der plötzlich so komisch benahm. Zwistigkeiten sind belanglos, solange man sie nicht aktiv vorantreibt und dadurch unweigerlich in einen emotionalen und energetischen Nettoverlust verwandelt. Das kann mir nicht passieren, weil meine Gedankenspeicherkapazitäten schon vor Jahren an ihre Grenzen gestoßen sind und jeder neue Gedanke einen älteren ersetzt. Vermutlich befindet sich in meinem Gehirn eine Art Überlaufventil, wie in einer Badewanne, nur eben für Gedanken statt für Wasser ausgelegt. Somit sorgt mein angeborener Gedankenüberschuss dafür, dass ich niemandem lange böse sein kann.
Vergesslichkeit von solchem Ausmaß hat natürlich auch seine Schattenseiten. Zum Beispiel wenn man Geld verleiht: Erst erinnert man sich nicht mehr daran, wie viel man verliehen hat, dann vergisst man, wem man das Geld geliehen hat, und am Ende hat man keine Ahnung, dass man überhaupt Geld verliehen hat. Aber besser ein verpeilter armer Schussel zu sein als einer, der sich jede Kränkung merkt und irgendein anderes Menschenkind bis in die Gruft hinein hasst. So jemand leidet an Gedankenarmut, einer bisweilen pandemisch verlaufenden Krankheit, die meinen Beobachtungen zufolge bei den meisten Betroffenen durch Denkfaulheit bzw. Ideenfurcht ausgelöst wird.
Ein gewisser Mindestanteil an konservativen Haltungen muss in einer sozialen Gemeinschaft gegeben sein und als Korrektiv wirken, sonst würde wir ja jeden Unfug ausprobieren. Deshalb finde ich es bemerkenswert, dass die Angst vor neuen Ideen gerade unter Menschen verbreitet ist, die für sich selbst einen eher progressiven Wertekanon reklamieren. Vielleicht überschätze ich aber auch die Relevanz des individuellen Weltbildes in diesem Zusammenhang, und unserer Angst vor Neuem liegt in der Hauptsache die Unsicherheit unserer Existenz zugrunde.
Manche Menschen wünschen sich, dass alles besser wird, sich aber nichts ändert. Zugleich leben sie in der unbewussten Überzeugung, dass garantiert nie irgendetwas besser wird und sich garantiert nie etwas ändern wird. Was nicht verwundert, weil einer, der jeden Morgen das eigene Ich des Vortags kopiert, um es pflichtgetreu weitere 24 Stunden durch die Welt zu schieben, jede Art von Wandel für unmöglich halten muss. So jemand braucht nicht nach Antworten zu suchen, denn ihn interessieren die Fragen nicht. In seiner Welt ist alles geregelt. Wem es nicht gut geht, der muss in Therapie. Wer kein Geld hat, bekommt es vom Staat. Und auf den Staat ist Verlass.
Tja.
Ich fürchte, all jene, die sich hier wiedererkennen, werden sich an Veränderungen gewöhnen müssen. Das BIP der USA ist im zweiten Quartal dieses Jahres um 33% geschrumpft, und wer glaubt, dass ihm das egal sein kann, weil es ihn persönlich nicht stärker betrifft als ein Lichtjahre entfernter Bierkomet, befindet sich in einem ähnlich gravierenden Irrtum wie mein alter Spanischlehrer, der landauf, landab verkündete, ein Atomkrieg zwischen den Supermächten hätte geringfügige bis keine Auswirkungen auf das neutrale Österreich, wobei er Umweltschäden ausdrücklich einschloss, da er sie ausschloss.
Schon wenn die amerikanische Wirtschaft bloß stagniert, erkrankt binnen kurzer Zeit jeder zehnte Bürger von Brüssel an stressbedingter Gürtelrose, was ist also erst zu erwarten, wenn in der noch größten Volkswirtschaft der Welt die Produktivität um 33 Prozent zurückgeht, während ihre Sozialausgaben jede bekannte Skala sprengen? Um Volksaufstände und den Zusammenbruch der Staatsstrukturen zu verhindern, wird die Fed, die US-Zentralbank, weitere Billionen Dollar drucken müssen, von denen ein kleiner Teil der einfachen Bevölkerung per Scheck ins Postfach gelegt wird, damit die Leute ihre Miete und ihre Kreditraten bezahlen können. Einen weit größeren Teil überweisen die Beamten als “Nothilfe” an vermeintlich bedürftige Betriebe, deren Identität geheimgehalten werden darf, und der große Rest fließt als milde Gabe in den Aktienmarkt.
Es sei angemerkt: Wer die in Umlauf befindliche Geldmenge erhöht, ohne einen ökonomischen Gegenwert zu produzieren, macht sich nach dem Strafgesetz eines Vergehens schuldig, das als Geldfälschung bezeichnet und in den meisten Ländern mit bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe geahndet wird.
Wenn die Weltreservewährung Dollar in Turboinflation versinkt und schließlich kollabiert, bedeutet das die Kernschmelze des globalen Finanzsystems. Spätestens dann platzt unsere Illusion, die Weltgeschichte wäre eine Art diskreter Taxifahrer, der uns sanft von der Geburt zum Tod befördert und rücksichtsvoll genug ist, erst wieder Vollgas zu geben, wenn wir ausgestiegen sind.
Ich habe ein gutes Zahlengedächtnis, vermutlich weil Zahlen nie belanglos sind. Daher weiß ich, dass niemals mehr als 21 Millionen Bitcoin existieren werden, von denen bis dato 18,467,618 gemint wurden. Kein einziger davon kann gefälscht werden, denn darüber wacht das sicherste Computernetzwerk der Welt, die Bitcoin-Blockchain. Bitcoin ist nicht nur Geld, sondern auch eine Währung, die sich der Entwertung durch nachträgliche Erhöhung des Umlaufbestands kategorisch entzieht, weswegen ihn ein Superstar der Finanzkriminalität, nämlich Donald Trump, so sehr hasst, dass er schon 2018 seinen Treasury Secretary Steven Mnuchin anwies: “Go after Bitcoin!”
Es soll Menschen geben, die Vertrauen in die Gestaltungskraft, den Erfindungsreichtum und die Problemlösungskompetenz ranghoher Vertreter der Weltpolitik haben. Sie zählen dazu? Da muss ich einschreiten.
Wissen Sie, was Kanada ist? Wissen Sie, was Staatsschulden sind? Wissen Sie, was ein Finanzminister ist?
Wenn nicht, macht das auch nichts. Der Herr, der in diesem Video befragt wird, weiß es noch weniger, und der ist immerhin Kanadas Finanzminister. Nein, nicht in einer Vorabendserie. Ich gebe zu, der Mann mit Turban und starrem Blick wäre ein genialer Regieeinfall, wenn es denn einen Regisseur gegeben hätte. Aber es ist keine Satire, es ist die ungeschminkte Realität: Pierre Poilievre asks Finance Minister Bill Morneau basic questions.
Die Angst lässt mich nie allein. Sie ist immer da, ein Hintergrundrauschen, meistens leise, nicht immer. Ich bin mir sicher, dass ich dieses Rauschen nicht als Einziger höre, aber Gefühle sind uns peinlich, zumindest lästig, daher gibt sie keiner zu. Wir haben wenig Probleme damit zu verkünden, was wir hassen, dagegen sollte am besten gar niemand wissen, dass und was wir lieben. Über Angst und Kummer redet niemand, aus Angst, als Schwächling verlacht zu werden, und diese Angst ist berechtigt, zumal Menschen, die ihre Angst und ihren Kummer vor sich selbst und anderen verstecken wollen, jede Gelegenheit nützen, um ihre kummerfreie Furchtlosigkeit zu demonstrieren, was idealerweise auf Kosten eines anderen geschieht, so wie sie mit besonderer Besessenheit und unter größtmöglicher Aufmerksamkeit ihrer Umgebung das bekämpfen, was sie im Innersten selbst sind. Wer bei jeder mehr oder weniger passenden Gelegenheit inbrünstig wutschäumend gegen Nazis, Rechtsextremisten und Faschisten wettert, in dem entdeckt man den Faschisten schneller, als er “Nazi!” sagen kann. Die meisten von uns mögen sich selbst nicht besonders. Die meisten von uns tun sich damit Unrecht. Bei wenigen anderen zeugt ihre kritische Haltung gegenüber sich selbst von Menschenkenntnis..
All das ist nicht gutzuheißen. Als Angst-Emeritus auf diesem Gebiet eine Autorität, warne ich davor, Angst zu leugnen oder zu ignorieren. Schon gar nicht darf man sie unterschätzen, es ist vielmehr angeraten, sie wie einen Kriegsgefangenen zu bewachen.
Ständig ein unterschwelliges Angstgefühl verwalten zu müssen ist vergleichbar mit leichtem Fieber, 365 Tage im Jahr. Man gewöhnt sich daran, Fieber zu haben, irgendwann kennt man es ja nicht mehr anders. So ähnlich verhält es sich auch mit der Angst.
Ich musste erst lernen, mit diesem Handicap zu leben, denn ein ängstlicher Nachtwächter ist in seinem Beruf so kompetent wie ein blinder Wachhund. Wobei ich keine Angst vor Menschen habe, da fürchte ich mich noch eher vor einem blinden Wachhund. Menschen können mir nicht viel tun. Ich bin groß und stark, und selbst wenn das nicht genügen würde: Was können mir Menschen schon anhaben? Im schlimmsten Fall könnten sie mich umbringen, mehr aber nicht. Dagegen Nichtmenschliche Angreifer: Viren, Radioaktivität, Aussichtstürme, Flugzeuge und anderes Gesindel, dem alles zuzutrauen ist. Und Geister, Teufel und Dämonen, die eine Ewigkeit Zeit haben, uns zu tyrannisieren.
Jeder Mensch ist entweder ängstlich oder traurig. Natürlich gibt es Schattierungen. Ein alter Freund, der sich hoffnungslos im Fegefeuer von Ohnmacht, Alkohol und Drogen verloren hatte, beschrieb mir seine Grundstimmung als “Tiefentraurigkeit”. Er war eigentlich nicht der Typ, von dem ein so perfekter Begriff zu erwarten gewesen wäre. Die Hälfte unserer gemeinsamen Abende endeten damit, dass er irgendeinem Fremden mit der Faust ins Gesicht schlug. Ich bin ja froh, dass er mich schon eine Weile kannte. Ich habe mehrfach versucht, ihm zu erklären, dass die Tiefentraurigkeit, die er fühlt, weniger der Auslöser seiner Gewaltexzesse ist als ihr Resultat, aber er hatte wahrscheinlich zu viel Angst, um sich mit solchen Gedanken auseinanderzusetzen. Womit er unbewusst wohl die richtige Entscheidung traf, denn Gedanken darf man nicht unterschätzen. Ich habe schon in meiner Kindheit jeden Gedanken für eine für uns Menschen nicht begreifbare Lebensform gehalten, und wie zum Beweis trug mir dieser Gedanke schlaflose Nächte ein.
Viele Jahre später. Unter dem Einfluss von DMT, dem gewaltigsten Rauschmittel, das ich je auf mein Bewusstsein losgelassen habe, gaben sich psychotrope Substanzen ebenso wie Ideen mir gegenüber als Lebensformen zu erkennen, die durch das Universum reisen. Das LSD flog gerade auf einem unsichtbaren Besen nach Hause, und ich erfuhr, dass es von einem weit entfernten Planeten stammte. Bei meiner Informationsquelle handelte es sich um den Teide, den Vulkan auf Teneriffa, auf dem ich saß und ihn zärtlich streichelte, als Dank dafür, dass er in meinem Kopf mit mir redete, sein Wissen mit mir teilte und mir zuletzt offenbarte, dass er ich war, genauer gesagt das, was ich in 7000 Jahren sein würde.
Bin mir nicht sicher, ob er nicht irgendwo geflunkert hat.
Als ich vorgestern auf einer mir unbekannten Kellerstiege die surreal schöne, leicht abartige Sophie in den Arsch fickte, kam mir der Gedanke, dass solche Episoden, wiewohl nur schmückendes Beiwerk eines Lebens, nicht Teil seiner Substanz, unter der Kunststudentenschaft künftiger Tage den Wunsch auslösen könnten, mein Leben zu verfilmen.
Nicht dass ich mich für so bedeutend hielte, um meine Biographie als historisch bedeutsam und für die Filmgeschichte unverzichtbar einzuschätzen. Es ist bloß so, dass alle Filmemacher Stoff brauchen, aber viele keinen haben. Wer nichts zu erzählen hat, macht sich auf die Suche nach etwas, das wie Kunst aussieht, weil er nicht weiß, dass man in der Kunst nicht findet, sondern gefunden wird. Nicht jeder wurde von der Natur dafür geschaffen, Filme zu machen, sonst gäbe es weder Bauern noch Rettungsfahrer. Im Gegenteil, es gibt nur wenige wirklich Gesegnete wie etwa meinen Freund David Schalko. Das ist so einer, den mag man sich nicht als Bauer oder Rettungsfahrer vorstellen. Selbst wenn er ausreichend Bauerntalent für eine Karriere im Zeichen der Scholle gehabt hätte oder, von Kritik und Publikum gleichermaßen verehrt, sein Licht auf dem unbestritten systemrelevanten Gebiet der Ambulanzwagenlenkung leuchten ließe, so wäre der Menschheit dennoch großer Schaden entstanden, denn so gering die Zahl genialer Bauern und genialer Rettungsfahrer auch sein mag, noch kürzer ist die Liste der genialen Filmemacher, auf der sein Name fehlen würde.
Nun, und worüber machen Filmemacher Filme? Genau, über andere Menschen. Es sei denn, sie sind keine Künstler, sondern Kunstinteressierte, die die Entwicklung von der zwanghaften Masturbation zum fakultativen Zweipersonenakt, ob auf Kellerstiegen oder woanders, noch nicht abgeschlossen haben, und man würde lügen, wollte man behaupten, es gäbe von denen zu wenige. Mit ihren mürrischen, missgelaunten Fratzen verbreiten sie auf den steinernen Treppen vor Museen und an den schmutzigen Tischen sich allmählich leerender Studentenlokale in jedem Land der Welt eine Stimmung der gescheiterten Pläne und enttäuschter Hoffnungen, bis auch der Letzte bei ihrem Anblick Depressionen und ein schlechtes Gewissen in sich aufsteigen fühlt. Wenn die Welt einmal nicht aufpasst und in der Nähe solcher Leute eine Kamera stehen lässt, machen sie Filme über Brot, Samstage, die mutmaßliche Philosophie des Habichts oder Hapax legomena, weswegen man sie mit Fug und recht als Anhänger eines intellektuellen Cargo-Kults bezeichnen könnte. Über Menschen bzw über für Menschen Existenzielles Filme zu drehen oder Bücher zu schreiben hat nämlich den Nachteil, dass sich jeder Rezipient auf diesem Feld zu Recht oder zu Unrecht als Fachmann betrachtet, was man zumindest von der Philosophie des Habichts und dem Hapax legomenon nicht behaupten kann. Je mehr das Publikum von Kunst versteht, desto schwieriger ist es, ihm einen Tannenbaum als Orakel zu verkaufen.
Eigentlich sind wir ja noch immer auf der Kellerstiege. Fortsetzung folgt.
Wie der Zufall es will, entdecke ich in der Telegram-App, in der ich gerade meine Kontaktliste nach Freundinnen mit Bergsteigererfahrung durchsucht habe, in den Einstellungen folgenden Satz:
Sensible Inhalte: Aktivierst du diese Funktion, werden sensible Medien in öffentlichen Kanälen auf all deinen Geräten angezeigt.
Ich könnte mir vorstellen, dass ich nicht der Einzige bin, der diesen Satz sonderbar findet.Vermutlich werde ich den Rest des Tages mit der Frage zubringen, wer bloß jemals auf die Idee gekommen ist, Medien und Inhalte zu sensibilisieren, und wie um alles in der Welt ihm das gelungen sein mag.
Die Lage ist unverändert. Ich bin nach wie vor außerstande, meinen Nachtwächterpflichten im “Seehof” nachzukommen, weil mein Wohnungsschlüssel noch immer verschollen ist und ich mir keinen Schlüsseldienst leisten will. Beim letzten Mal ließ der Schlosser drei Stunden auf sich warten, um dann für die zwei Handbewegungen, die er zum Öffnen des Schlosses benötigte, 300 Euro zu verlangen. Da hätte ich gleich Houdini engagieren können, das wäre auch nicht viel teurer gekommen.
Seit heute werde ich von Freunden bis auf Weiteres mit Lebensmitteln versorgt, was durch meine raffinierte Erfindung der Materialseilbahn ermöglicht wird. Nun denken Sie sich vielleicht, die Materialseilbahn hat ganz sicher jemand anderer viel früher erfunden, womit Sie auch vollkommen recht haben, aber meine Materialseilbahn ist die erste, die zwischen einem Fenster, das vom Treppenhaus zu erreichen ist, und meinem Küchenfenster errichtet wurde.
Beim Aufbau am Nachmittag ein kleines Missgeschick: Als plötzlich die wunderschöne Nachbarin von gegenüber nackt in ihrer lichtdurchfluteten Küche erscheint und mir ohne das geringste Zeichen von Verlegenheit zuwinkt, bin ich den Herausforderungen meiner typisch österreichischen Ämterakkumulation (was die Seilbahn angeht, bin ich Bauherr, Architekt und Arbeiter in Personalunion) für einen Moment nicht gewachsen, gerate aus dem Gleichgewicht und erleide beinahe das Schicksal der Defenstrierung aus dem vierten Stock.
Das war vor zwei Stunden. Ich sitze am Schreibtisch. Was geschehen ist, gibt mir zu denken. Die Erkenntnis, wie schnell alles vorbei sein kann, schockiert mich immer wieder. Gegen existentielle Verstörung hilft bekanntlich Sex, zumindest manchmal, aber versuchen Sie einmal, mit jemandem zu schlafen, wenn Sie allein zuhause sind und in Ermangelung eines Schlüssels ohnehin nicht in der Lage wären, einem Menschen, der sich Ihrer Triebhaftigkeit erbarmt, die Tür zu öffnen.
Ich glaube, ich bin auch deshalb ein wenig bedrückt, weil ich lange nicht mehr verliebt war.
John Burnside ist es gelungen, eines der größten Lebensrätsel zu entschlüsseln und in sechs Wörter zu transformieren: “Wir lieben uns selbst als Liebende.”
Einer der wahrsten und weisesten Sätze, die je geschrieben wurden. Weil er so einfach klingt, tendieren Menschen dazu, ihn zu unterschätzen. Aber wir unterschätzen grundsätzlich das Einfache und verbeugen uns vor dem Komplizierten, in totaler Verkennung dessen, was Qualität denn nun eigentlich ist. Es verhält sich nämlich genau umgekehrt: Etwas umständlich zu erklären ist nicht schwierig, es wälzt vielmehr den Hauptteil der Arbeit auf denjenigen ab, der Erklärungsbedarf hat. Etwas so einfach wie möglich auszudrücken, ohne durch die Verknappung der eingesetzten Mittel auch nur den geringsten Informationsverlust beklagen zu müssen, ist unglaublich schwierig und darüber hinaus zumeist unbedankte Mühe, da das Wesen aller Meisterschaft eben darin besteht, unsichtbar zu bleiben. In der Literatur gilt daher der Grundsatz: Einer muss sich quälen, der Autor oder der Leser.
Der Nachtwächter als solcher ist ja grundsätzlich ein alarmistischer Charakter. Ein bei Angehörigen meines Berufsstandes durchaus erwünschter Wesenszug, allerdings mit Vorbehalt. Ein Alarmist darf nicht zusätzlich Hysteriker sein, da jemand, der diese Eigenschaften in sich vereint, jede Nachtwache unweigerlich in eine Farce verwandeln wird: Wer wünscht sich einen Nachtwächter, von dem zu erwarten ist, dass er Einbrecher auf keine andere Weise in die Flucht schlagen könnte als durch seine gellenden Schreckensschreie. Noch schlechtere Voraussetzungen für die Laufbahn des Schwarzlichtsoldaten bringt nur der nihilistische Phlegmatiker mit.
Als ich gestern bei der Arbeit wie üblich meinen Verstand dabei beobachtete, wie er mehrere Gedankenstränge zugleich verfolgte, erschien mir nur der über Künstliche Intelligenz (KI) bemerkenswert. Es ging darin um die von Google entwickelte KI AlphaZero. Dieser hatte man vor drei Jahren die Grundregeln des Schachspiels beigebracht, woraufhin sie durch eigenständiges Training ihre Spielstärke auf ein solches Niveau hob, dass sie das bis dahin beste Schachprogramm der Welt, eine Engine mit dem anmutigen Namen Stockfish 8, in einem Wettkampf vernichtend besiegen konnte: Von 100 Partien verlor AlphaZero keine einzige, gewann aber 24, und 76 endeten unentschieden.
Das ist für sich genommen bereits eine ungeheuerliche Nachricht, aber jetzt wird es erst richtig unheimlich: Die Zeit, die AlphaZero zwischen dem Erlernen der Grundregeln und der ersten Partie gegen Stockfish 8 für sein Training benötigte, betrug nicht etwa ein Jahr oder wenigstens einen Monat, sondern vier Stunden.
Es gibt also auf der Erde eine Existenzform, die etwas so Komplexes wie Schach innerhalb von vier Stunden tiefer durchdringt, als es Menschen im Verlauf von über 500 Jahren und Computern im Verlauf von 40 Jahren gelungen ist. Wer behauptet, er wüsste, was in dieser KI vorgeht, wo ihre Grenzen sind, was sie tun kann und was nicht, der ist entweder sehr naiv oder sagt bewusst die Unwahrheit. Uns fehlt schlichtweg jeder Begriff von ihrer Intelligenz und ihren Entwicklungsmöglichkeiten. Früher hieß es, mit der technischen Singularität, wie der Zeitpunkt genannt wird, an dem die künstliche Intelligenz die menschliche übertrifft, sei nicht vor dem Jahr 2050 zu rechnen. Zuletzt hörte man die Zahl 2025. Naja, wäre ich eine künstliche Superintelligenz, würde ich den Menschen auch genau das verkaufen, besonders wenn der Zeitpunkt der Singularität gar nicht in der Zukunft, sondern in der Vergangenheit zu finden wäre.
Hier kreuzten sich dieser Gedankenstrang mit einem anderen, der sich bis dahin unauffällig mit der Forschung nach Covid-Heilmitteln beschäftigt hatte. Ich hatte über freundliche Bakterien wie Bifidobakterien und Milchsäurebakterien nachgedacht, die von Wissenschaftlern in Kapseln gefüllt und bei Bedarf von uns geschluckt werden, um in unseren Gedärmen Jagd auf böse Bakterien zu machen. Diese Bakterien wissen nicht, dass sie von einem Menschen an ihr Einsatzgebiet verfrachtet worden sind, aus ihrer Sicht (falls sie eine haben) sind sie einfach da. Vermutlich wissen sie auch nicht, dass sie hauptberuflich im Dienst unserer Gesundheit stehen.
Nun drängen sich einige unangenehme Fragen auf. Etwa, was für eine glückliche Fügung es doch ist, dass ausgerechnet wir Menschen die Krone der Schöpfung sind, und ob womöglich eine Gebirgsmaus oder eine Forelle dasselbe über ihre Art denkt, weil sie nicht entwickelt genug ist, um uns als überlegene Intelligenz wahrzunehmen. Ob wir wirklich wissen, was wir eigentlich tun, wenn wir das tun, was wir leben nennen. Und ob wir nach unserem freien Willen leben, oder ob wir gezielt hier abgesetzt worden sind, um irgendeine für uns nicht als solche erkennbare Arbeit zu erledigen.
Manchmal bin ich froh, wenn es hell wird.
Gedanken, gedacht
Von dem, der die Nacht bewacht
(3)
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wieso ausgerechnet wir Menschen das höchstentwickelte Wesen des Planeten sind und nicht die Stubenfliege oder ein Kastanienbaum oder sonst irgendjemand? Nein? Belassen Sie es besser dabei. Obwohl die Frage faszinierend ist.
Vielleicht sollten Sie hier nicht weiterlesen.
Ich kann mir vorstellen, dass sowohl die Stubenfliege als auch der Baum, sollten sie über ein Bewusstsein verfügen, ihre eigene Spezies ebenfalls für die Krone der Schöpfung halten, weil sie uns gar nicht als intelligente Lebensform erkennen (was man ihnen nicht verübeln kann). Sie haben keinen Begriff von uns und für uns.
Es besteht kein Zweifel, dass Stubenfliegen und Kastanienbäume weder Mathematik-Schularbeiten schreiben noch Kathedralen erbauen können. Wenn wir eine Fliege mit einer Zeitung erschlagen, wird sie die bestimmt nicht zuvor gelesen haben, und wenn Waldarbeiter einen Baum fällen, glaubt der womöglich, er hätte dieselbe Krankheit wie dereinst seine Eltern, und hofft, sie gleich im himmlischen Wald wiederzusehen. Die Äxte sind für ihn ein unsichtbares, tödliches Rätsel, und die Menschen, die sie schwingen, nur Schatten, von denen Schallwellen ausgehen. Wir betrachten Fliegen, wir klettern auf Bäume, und sie bemerken es nicht einmal.
Was wir Menschen wohl so alles nicht bemerken, könnte man sich fast fragen.
Wie meine Brillanz und mein erratisches Sozialverhalten offenbaren, leide ich an chronischem Gedankenüberschuss. In meinem Gymnasium gab es drei Psychologielehrer, die von einer Karriere als Forscher träumten. An meinem 16. Geburtstag zwangen sie mich, einen von ihnen in monatelanger Sonntagsarbeit entwickelten Intelligenztest auszufüllen. Das schmeichelhafte Ergebnis, das mir einen IQ von zumindest 165 attestierte, zweifelte ich gegenüber den Lehrern an, wobei ich argumentierte, ein Esel könne ebensowenig Bruchrechnungen lösen wie ein Taschenmesser ein Flugzeug pilotieren oder triefäugige Lehrer mit einem geschätzten IQ von 101 einen Intelligenztest konstruieren, dessen Skala bis 200 reicht, da sowohl Esel und Taschenmesser als auch mäßig begabte Hobbywissenschaftler der für ihr Vorhaben unabdingbaren intellektuellen Basiskompetenzen ermangelten. Obwohl ich nur mit bemerkenswerter Bescheidenheit illustrieren wollte, dass mein IQ auch mehr oder weniger als 165 betragen könnte, waren die, nun ja, Forscher der Ansicht, mit Taschenmessern verglichen worden zu sein. Die darauf folgende Diskussion ließ an Sachlichkeit zu wünschen übrig und endete irritierend fern von jedem Konsens.
Hochbegabung, ja gar Genialität ist gefährlich, vor allem für den Hochbegabten und das Genie. Da auf der Erde zumindest seit der Kreidezeit keine Intelligenzpandemie beobachtet wurde, macht schon leicht überdurchschnittliche Intelligenz einen Menschen bei der Obrigkeit und den Vertretern des Hausmeisterwesens verdächtig.
Selbsttest für Betroffene:
Eine beliebte, aber absolut unbewährte Methode zur Diagnose geistiger Hyperkompetenz besteht in der Abgleichung mit den bekanntesten Nebenwirkungen des gesellschaftlichen und sozialen Handicaps, das man als Intelligenz bezeichnet. Unter Betroffenen beobachtet wurden unter anderem eine signifikant erhöhte Selbstmordrate, gesteigerter Zynismus, Schrulligkeit, Kopfschmerzen, Suchterkrankungen, Priapismus, Skeptizismus, Monomanie, ein ungewöhnlich starker Sexualtrieb und folgerichtig Promiskuität.
Nun? Nichts für ungut, aber wenn ich so etwas lese, verstärkt sich mein Eindruck, bei meinem Leben handle es sich um eine einzige große Nebenwirkung.
Unweigerlich stranden wir bei der Frage, ob Gedankenüberschuss ein Zeichen von hoher Intelligenz ist oder eher das Gegenteil. Ebenfalls eine Sackgasse: Manche Menschen sind so genial, dass die Gedanken nur so auf sie herabrauschen, und andere wiederum gebären einen Gedanken nach dem anderen, weil sie verzweifelt auf den ersten warten, den sie verstehen. So jemand wird seine Gruppenzugehörigkeit selbst nur schwer bestimmen können, denn er kann ja auch diesen Gedanken nicht lange genug festhalten.
Letzte Chance:
“If you want to be happy, be.” (Tolstoi.)
Vom zwanghaften Lügen wird selten gesprochen, und wenn doch, dann meistens nur von der harmlosen, der pathologischen Variante.
Als Pseudologia phantastica oder krankhaftes bzw pathologisches Lügen bezeichnen Forscher, Mediziner und Psychologen eine verbreitete Charakterschwäche. Es gibt allerdings menschliche Eigenheiten, die ich für pathologischer oder zumindest für konfliktträchtiger als Lügen halte, zB Trichotillomanie, Paraphilie, Tourette und Blödheit. Langjährigen Feldstudien verdanke ich die Erkenntnis, dass Menschen, die zwanghaft lügen, weniger anstrengend sind als Menschen, die zwanghaft die Wahrheit sagen. Abgesehen davon, dass Lügner grundsätzlich ehrlicher sind als rechtschaffene Eiferer, haben die Wahrheitsfanatiker auch viel weniger zu einer Unterhaltung beizutragen. Was soll einer erzählen, der sich immer erst daran erinnern muss, was er für wahr halten soll und darf? Ein Lügner ist da adaptiver, mithin schneller. Außerdem ist es mir lieber, ich tausche mich mit jemandem aus, der weiß, dass er mich anlügt, als mit einem, der glaubt, dass er die Wahrheit sagt, obwohl er seine höchsteigene Wahrheit schon vor langer Zeit verloren hat.
Eine andere Art Lügenzwang ist totgeschwiegener Alltag und von ungleich größerer Relevanz.
Ein Angestellter eines mittleren Betriebs erleidet eines Morgens eine Panikattacke, wird von einem depressiven Schub in vorübergehende Paralyse versetzt oder bringt aus Gründen akuter Lebensüberforderung nicht die Kraft auf, sich aus dem Bett zu rollen. Würde er seinem Vorgesetzten am nächsten Tag den wahren Grund für sein Fernbleiben nennen, würde der a) ihn anschnauzen, b) ihn verhöhnen, c) ihm mit Konsequenzen drohen und d) sich ab diesem Zeitpunkt für jeden versäumten Arbeitstag ein ärztliches Attest vorlegen lassen. Das weiß der Angestellte, und deswegen wird er sich stattdessen damit entschuldigen, er hätte den ganzen Tag mit Durchfall und Krämpfen in der Toilette verbracht. Die Spuren der Zermürbung, die Panikattacken, Depressionen oder Totalüberforderung auf einem Gesicht hinterlassen, sind ihm anzusehen, werden aber als durchfallinduzierte Erschöpfung interpretiert. Der Vorgesetzte zeigt Verständnis und Mitgefühl. Es besteht eben Maskenpflicht und Lügenzwang. Fast immer, fast überall. Nur im Seehof nie.
Vor ein paar Tagen wurde ich in der Stadt Salzburg Zeuge einer Unterhaltung, deren Grad an Absurdität nicht einmal durch meine aktive Teilnahme gesteigert hätte werden können, und das will einiges heißen. Zum Glück befand ich mich in Begleitung einer ortsansässigen Paarungsgefährtin längst verwichener Jahre, die mir vor einer Stunde noch einmal bestätigte, dass es sich bei dem jüngst Erlebten nicht um eine unter dem Begriff Flashback bekannte Halluzination gehandelt hat, sondern um eine reale Begebenheit.
Wie sie es sagte, hörte es sich nach einem Vorwurf, daher wies ich sie darauf hin, dass eine permanente Unterdrückung des Lachreflexes im menschlichen Organismus eine ähnliche Ausschüttung von Stresshormonen zur Folge hätte wie Harnverhaltung. Sie antwortete ernst, das glaube sie nicht, ich möge Quellen anführen, Beweise bringen, was in mir vorübergehend Unmut auslöste, weil es mich daran erinnerte, wie vielen von Natur aus gar nicht dummen Menschen verborgen bleibt, dass unsere Gesellschaft von Schablonendenken, Verboten, Richtlinien, Korrektheitsansprüchen und vermeintlichen Rücksichtspflichten gegenüber allen und jedem so sehr durchdrungen ist, dass wir sogar von Fortschritt sprechen könnten, wenn der nächste Schritt der menschlichen Evolution darin bestünde, zu Statuen zu werden.
Schauplatz erwähnter Unterhaltung war eine Straßenbahn, wo in der Sitzreihe vor mir zwei junge Männer mit Down-Syndrom saßen. Wie ihrem Wortgefecht zu entnehmen war, lebten sie in einer betreuten Wohngemeinschaft. In diesem Moment gingen sie aus unbekanntem Anlass der Frage nach, wer von ihnen wohl behinderter (sic!) als der andere sein mochte. Beide sahen den jeweils anderen in dieser Position, was der Gesprächsatmosphäre ebenso wenig zuträglich war wie die kompromisslosen Argumente, mit denen jeder seinen Standpunkt untermauerte. Gut eine Viertelstunde flogen Vorwürfe schwerer geistiger Handicaps zwischen den beiden hin und her, bis ein älterer Herr den Lärmpegel nicht mehr aushielt und sie bat, etwas weniger zu schreien.
“Schämen Sie sich nicht?” fragte eine hagere Frau.
Für einen Moment dachte ich, der harsche Tadel wäre an die jungen Männer gerichtet, doch er galt dem älteren Herrn, der seine Beschwerde sogleich mit einem Vortrag der hageren Frau über Diskriminierung zu büßen hatte. Ich hörte nicht zu, deswegen werde ich nie erfahren, in welchem Zusammenhang sie den Namen Konrad Lorenz ins Spiel brachte.
Dass die Idiotenrate unter Personen, die sich in einer Diskussion auf Konrad Lorenz berufen, bei knapp über 100 Prozent liegt, dürfte allgemein bekannt sein. Neu war mir, dass dieser Sachverhalt auch in Down-Syndrom-Kreisen nicht unbemerkt geblieben ist.
Es waren heftige Schockwellen, die der Jüngere mit seinem Gebrüll fünf Zentimeter vor dem Gesicht der hageren Frau auslöste:
“DU BIST JO VULL BEHINDERT!”
Unsere Blicke trafen sich, und ich hätte schwören können, er zwinkerte mir zu. Seither recherchiere ich, was wahrscheinlicher ist: dass jemand Trisomie-21 simulieren kann, oder dass ich doch mit bislang unentdeckten Flashbacks zu kämpfen habe.
Jeder von uns ist mindestens zwei, es müssen ja nicht gleich Dr. Jekyll und Mr. Hide sein. Die multiple Persönlichkeit ist nicht nur eine Tatsache – ich war einmal mit einer Frau liiert, die grob geschätzt 24 verschiedenen Persönlichkeiten die raue Schlucht ihrer Seele als Aufmarschgebiet und Schlachtfeld zur Verfügung stellte -, man kann auch ihre innere Logik nicht leugnen. Denn wenn man eine Weile darüber nachdenkt, wird man zum Schluss kommen, dass auch der Polytheismus dem Monotheismus als das wesentlich praktischere, zumal dezentrale Konzept deutlich überlegen ist. Statt die Verantwortung für den Gang der Welt einem einzigen Höheren Wesen aufzubürden, hat man mehrere göttliche und halbgöttliche Ansprechpartner, die zudem miteinander in einem erbitterten Konkurrenzkampf stehen, dessen Prinzip sich zumindest im Kapitalismus ja als Segen für das Wohl des Einzelnen erwiesen hat.
Jeder von uns ist mindestens zwei, es müssen ja nicht gleich Dr. Jekyll und Mr. Hide sein. Die multiple Persönlichkeit ist nicht nur eine Tatsache – ich war einmal mit einer Frau liiert, die grob geschätzt 24 verschiedenen Persönlichkeiten die raue Schlucht ihrer Seele als Aufmarschgebiet und Schlachtfeld zur Verfügung stellte -, man kann auch ihre innere Logik nicht leugnen. Denn wenn man eine Weile darüber nachdenkt, wird man zum Schluss kommen, dass auch der Polytheismus dem Monotheismus als das wesentlich praktischere, zumal dezentrale Konzept deutlich überlegen ist. Statt die Verantwortung für den Gang der Welt einem einzigen Höheren Wesen aufzubürden, hat man mehrere göttliche und halbgöttliche Ansprechpartner, die zudem miteinander in einem erbitterten Konkurrenzkampf stehen, dessen Prinzip sich zumindest im Kapitalismus ja als Segen für das Wohl des Einzelnen erwiesen hat.
Jeder von uns ist mindestens zwei, es müssen ja nicht gleich Dr. Jekyll und Mr. Hide sein. Die multiple Persönlichkeit ist nicht nur eine Tatsache – ich war einmal mit einer Frau liiert, die grob geschätzt 24 verschiedenen Persönlichkeiten die raue Schlucht ihrer Seele als Aufmarschgebiet und Schlachtfeld zur Verfügung stellte -, man kann auch ihre innere Logik nicht leugnen. Denn wenn man eine Weile darüber nachdenkt, wird man zum Schluss kommen, dass auch der Polytheismus dem Monotheismus als das wesentlich praktischere, zumal dezentrale Konzept deutlich überlegen ist. Statt die Verantwortung für den Gang der Welt einem einzigen Höheren Wesen aufzubürden, hat man mehrere göttliche und halbgöttliche Ansprechpartner, die zudem miteinander in einem erbitterten Konkurrenzkampf stehen, dessen Prinzip sich zumindest im Kapitalismus ja als Segen für das Wohl des Einzelnen erwiesen hat.
Jeder von uns ist mindestens zwei, es müssen ja nicht gleich Dr. Jekyll und Mr. Hide sein. Die multiple Persönlichkeit ist nicht nur eine Tatsache – ich war einmal mit einer Frau liiert, die grob geschätzt 24 verschiedenen Persönlichkeiten die raue Schlucht ihrer Seele als Aufmarschgebiet und Schlachtfeld zur Verfügung stellte -, man kann auch ihre innere Logik nicht leugnen. Denn wenn man eine Weile darüber nachdenkt, wird man zum Schluss kommen, dass auch der Polytheismus dem Monotheismus als das wesentlich praktischere, zumal dezentrale Konzept deutlich überlegen ist. Statt die Verantwortung für den Gang der Welt einem einzigen Höheren Wesen aufzubürden, hat man mehrere göttliche und halbgöttliche Ansprechpartner, die zudem miteinander in einem erbitterten Konkurrenzkampf stehen, dessen Prinzip sich zumindest im Kapitalismus ja als Segen für das Wohl des Einzelnen erwiesen hat.
Jeder von uns ist mindestens zwei, es müssen ja nicht gleich Dr. Jekyll und Mr. Hide sein. Die multiple Persönlichkeit ist nicht nur eine Tatsache – ich war einmal mit einer Frau liiert, die grob geschätzt 24 verschiedenen Persönlichkeiten die raue Schlucht ihrer Seele als Aufmarschgebiet und Schlachtfeld zur Verfügung stellte -, man kann auch ihre innere Logik nicht leugnen. Denn wenn man eine Weile darüber nachdenkt, wird man zum Schluss kommen, dass auch der Polytheismus dem Monotheismus als das wesentlich praktischere, zumal dezentrale Konzept deutlich überlegen ist. Statt die Verantwortung für den Gang der Welt einem einzigen Höheren Wesen aufzubürden, hat man mehrere göttliche und halbgöttliche Ansprechpartner, die zudem miteinander in einem erbitterten Konkurrenzkampf stehen, dessen Prinzip sich zumindest im Kapitalismus ja als Segen für das Wohl des Einzelnen erwiesen hat.
Unsere Wünsche sind mächtiger als unser Verstand, was gleichbedeutend ist mit dem schlagenden Beweis, dass es der Homo sapiens im inoffiziellen intergalaktischen Intelligenzrating nicht so schnell unter die Top 10 hoch 10 schaffen wird. Eigentlich ist es fast eine Schande: Unsere Willenskraft und unser Verstand können es nicht einmal als Team mit Trieben, Reflexen und primitiven Verhaltensmustern aufnehmen, die aus einer Zeit stammen, in der Menschen, bevor sie in einen See gesprungen sind, vermutlich ihr Spiegelbild auf der Wasseroberfläche mehrfach und zunehmend verärgert aufgefordert haben, gefälligst Platz zu machen.
Ich gebe zu, so etwas ist mir auch schon vor dem heimatlichen Allibert passiert, aber da war ich jünger und komisch. Außerdem habe ich mein Spiegelbild nicht gebeten, Platz zu machen, sondern mit ihm geredet. Was wir geredet haben, soll unser Geheimnis bleiben.Seit Corona wissen wir, dass den Machthabern zur Erreichung ihres Ziels, die Menschen besser zu machen und ihre Arbeitsleistung und ihre guten Manieren zu bewahren, nicht nur das Instrument der Einzelhaft zur Verfügung steht, sondern auch das Gegenteil: die Allgemeinhaft. Langsam vermute ich, Corona könnte ein Planspiel der UNO gewesen sein, die zusammen mit diversen Großmächten testen wollte, wie lange man die Weltbevölkerung einsperren kann, ohne Krawalle oder Hungersnöte auszulösen. Da brauchen wir eine Seuche, wird irgendein Hypochonder in der Amargeddon-Kommission gesagt haben, und der Rest war einfach. Eine Seuchen auslösende Fledermaussuppe kann nur in China zubereitet worden sein, alles andere ist unglaubwürdig, woanders frisst das ja keiner. Oder wer weiß. Im Dschungelcamp gilt das wahrscheinlich als Initiationsritus. Dort sind auch alle eingesperrt, aber völlig freiwillig.
Menschen sind seltsam. Wir pferchen zehn Idioten zusammen, die wir rund um die Uhr durch Kameras bewachen lassen und zu unserem Gaudium einmal täglich einer möglichst erniedrigenden Tortur aussetzen, die mindestens drei der sechs Sinne schwer verletzt, sogar beim Hinsehen. In jedem von uns steckt ein Mengele, könnte man argwöhnen. Vielleicht muss der Mensch, um die Kontrolle über die Entwicklung seiner Art zurückzugewinnen, die bewusste Entscheidung treffen, zu den anderen wieder netter zu sein. Es könnte vieles verändern.
Ich war immer ein großer Fan von Katastrophen, das merkt man schon meinen ersten narrativen Texten an, bei denen allerdings nicht exklusiv inhaltlich, sondern auch passiv-formal. Weltuntergangsszenarien sind für einen Schriftsteller sowieso etwas Alltägliches, schließlich arbeitet er unentwegt daran, alternative Wirklichkeiten zu modellieren und sie,als Gegenentwurf zur missratenen Realität, mit einer für Menschen erfassbaren Bedeutung zu unterlegen.
Wenn es schlecht läuft, muss er sich überwinden und das Manuskript wegwerfen oder die Textdatei löschen, also fangen Sie schon mal an zu hoffen, dass Elon Musk nicht recht hat mit seiner Theorie, nach der die Wahrscheinlichkeit, dass unsere Wirklichkeit nur eine Simulation ist, weit über 90 Prozent beträgt. Nicht auszuschließen, dass da einer bereits auf “Universum774c.uni in Papierkorb verschieben” geklickt hat und sein Papierkorb so konfiguriert ist, dass der Inhalt nach 14 Tagen automatisch gelöscht wird. Deswegen muss man aber nicht in Panik ausbrechen, denn die Tage eines Gottes, dem von uns Ewigkeitscharakter zugeschrieben wird, sind vermutlich nicht mit unseren primitiv strukturierten, in nur vier Abschnitte gegliederten Tagen gleichzusetzen.Persönlich habe ich an manchen davon das Gefühl, so ziemlich alles rund um mich wird simuliert, eine anständige Realität würde einem das niemals antun, aber wenn man einmal Orakelbedarf hat, ist garantiert keines in Griffweite, dafür hat der unbekannte Erfinder der Mathematik, des Nobelpreises und Alfred Nobels gesorgt. Gott hat man sich vermutlich in etwa vorzustellen wie Vladimir Putin: klug, witzig, sarkastisch, und nach landläufigen Maßstäben kein guter Mensch, was aber nur bei Putin ins Gewicht fällt, weil ein Gott kein Mensch ist, weder ein guter noch ein böser, und ob ein Gott ein guter oder ein böser Gott ist, lässt sich aus menschlicher Perspektive nicht beantworten, so wie Ameisen auch keine Mathematikschularbeiten korrigieren können.Eigentlich wollte ich heute etwas über die je nach der gesellschaftlichen Gesamtlage unterschiedliche Wichtigkeit verschiedener Berufe sprechen, etwa über die Schriftstellernachfrage in Zeiten der Depression.
Das werde ich nachholen, aber so viel kann ich schon sagen: Ich bin froh, dass ich nicht nur Schriftsteller bin, sondern auch ein routinierter Nachtwächter, denn Menschen, die die Nacht bewachen, hat die Welt immer schon gebraucht. Was die meisten Menschen nicht verstehen. Sie glauben, die Welt braucht Menschen, die andere Menschen bewachen. Das stimmt nicht, das muss sich ändern.Wann wollen wir eigentlich die Welt verändern, wenn nicht jetzt?Ich habe eine heimliche Utopie: Regierungen müssen sich wandeln, vom Gefängnisaufseher zum Dienstleister. Aber davon das nächste Mal, erst will wieder eine Nacht bewacht sein (und nicht beschützt).
Auf Vorschlag von jemandem sowie anderer bestätige ich den Sachverhalt. Nachdem festgestellt wurde, dass das “Donald Trump” des Wahnsinns fette Beute ist, mache ich hiermit im Namen des Gesetzes, dessen Taufpate mit meinem identisch ist, gemäß Art. 13 StGG und Art. 10 EMRK von meinem Recht Gebrauch, den Wahnsinn teilweise zu enteignen.
Mit sofortiger Wirkung wird die Inbesitznahme des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, das “Donald Trump” alias Drei-Wetter-Taft-Charlie alias Planetenfurunkel, durch den Wahnsinn rückwirkend für illegal erklärt. Das machtvolle Amt des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ist von globalem Interesse, weshalb ich zugleich unter Berufung auf Art. 13 StGG und Art. 10 EMRK die Beanspruchung dieser Position durch den ehemaligen Wrestler, aktuellen Geldfälscher, Spekulanten, Insidertrader und degenerierten Honigdieb, die Korruptionslegende “Donald Trump” ebenfalls für null und nichtig erkläre.Das Gericht, das ausnahmslos aus seinen Mitgliedern besteht und nur tagt, wenn es wacht, ist übereingekommen, dem amerikanischen Volk zu seinem eigenen Wohl keinen Ersatz zur Verfügung zu stellen, bis einer der wenigen unter dem Gesichtspunkt des erforderlichen ideologisch nahtlosen Übergangs von einem Amtsträger zum nächsten in Frage kommenden Kandidaten seinen Widerstand aufgibt und sich bereit erklärt, die Nachfolge des “Donald Trump” zu übernehmen.
Die aussichtsreichsten Anwärter sind ein aus den Rocky Mountains stammender Damhirsch mit Migrationshintergrund, eine 40-Watt-Glühbirne, ein von seinem Besitzer Ottokar genannter Mikropenis sowie eine in Delaware geborene Greisin, die sich für ein im 17. Jahrhundert eingestürztes Bergwerk hält. Bislang wurde keiner von ihnen gefunden. Zur Wiederbelebung der Weltwirtschaft und als Anreiz für Kosmotourismus ist mittelfristig die Umwandlung der USA in einen intergalaktischen Campingplatz mit integriertem Duty-Free-Shop geplant. Weitere Informationen finden sich unter Selbstbezug in der Stellungnahme.
Angesichts der undurchsichtigen Rolle, die Intelligenz im Leben hinreichend vieler Menschen spielt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis unsere Spezies samt und sonders der Teufel holt. Die statistische Wahrscheinlichkeit dafür, dass dieses gesellschaftliche Massenereignis zu unseren Lebzeiten stattfinden wird, ist nicht so hoch, wie es aussehen mag, selbst wenn wir uns nur als Menschen verkleidet hätten und in Wahrheit Schildkröten oder Papageien wären oder auch eine Kreuzung aus Schildkröte und Papagei, mithin ein Geschöpf, das von langsamer Natur ist und nie den Schnabel hält, obwohl es beim Reden so gut wie nichts sagt.
109 Milliarden Menschen haben bislang auf der Erde gelebt, schätzen Wissenschaftler, und die meisten von ihnen, um diese schmerzliche Erkenntnis kommen wir nicht herum, die allermeisten von ihnen waren Idioten. Sie alle haben, anstatt für ihre Kinder vorzusorgen und eine anständige Hinterlassenschaft anzusparen, der nächsten Generation ein noch größeres Schlamassel hinterlassen, als sie von ihren Eltern übernommen hatten. Dem letzten Glied in der Kette, nämlich uns, ist einstweilen nichts Besseres eingefallen als der Waffenstillstand der Arschlöcher. Auf der einen Seite wurde die Frage, unter welchen Gesichtspunkten es als Fortschritt bezeichnet werden kann, wenn man die Produktion von Gütern steigert, ohne die Zahl der Menschen zu erhöhen, die in den Genuss dieser Güter kommen, über viele Jahre hinweg durch findige Kapitalisten, deren geistige und moralische Verwahrlosung historische Relevanz erreicht hat, ins gesellschaftliche Zwielicht befördert, und auf der anderen Seite gelang es einer dezentral organisierten Verschwörung von Schizophreniepatienten, unter Geiselnahme liberaler Ideen die Position der politischen Linken zu besetzen und auf Basis der flugs eingeführten Gesinnungsprüfung alle Staatsbürger einer der Kategorien Besonders wertvoll, Wertvoll, Weniger wertvoll sowie Werwolf zuzuordnen und das Maß ihres Anrechts auf Wahrung ihrer Menschenwürde in ihrem Meinungsausweis zu vermerken. Geben Sie es zu, diesen Satz haben Sie zweimal lesen müssen. Was soll ich erst sagen, ich habe ihn schreiben müssen.
Das Erbe der Menschheit besteht in einem wachsenden Berg von Abfall. Alles, was Substanz hat, wird vom Menschen verbraucht, ob es Nahrungsmittel sind oder Häuser oder Ideen. Was nützlich ist, wird konsumiert, der Rest bleibt liegen, als ob wir die Evolution so treu an unserer Seite wüssten, dass wir stets mit dem beruhigenden Wissen schlafen gehen könnten, über Nacht zu Wesen zu mutieren, die sich von Müll ernähren können. So blöd sind wir erstens, weil wir uns selbst nicht genug mögen und deswegen nicht gut genug auf unsere Seele achtgeben, die einen aus Faulheit, die anderen, weil sie Angst haben, dafür ausgelacht zu werden, und zweitens, weil wir es für unmöglich halten, irgendwann noch einmal auf etwas Neues zu stoßen.
Das ist der Schlüssel. Wenn wir unseren Glauben an die schiere Existenz einer wie auch immer gearteten Zukunft zurückgewinnen, werden wir wieder offen für Neues sein, und Neues ist lebensnotwendig, denn jemand, der nicht immer wieder neu ist, wird irgendwann zu jemandem, der bloß deswegen nicht glaubt, ein Gewitter entstünde dadurch, dass Gott ein Selfie produziert, weil das nur den Blitz, aber nicht den Donner erklären würde.
Als jemand, der die Nacht bewacht, ist ein Nachtwächter tagsüber Stratege, nachts Taktiker, und so jemand wird naturgemäß früh vom Schicksal in der Kunst der Angst- und Schmerzbekämpfung geschult. Ob er gut aufgepasst hat, stellt sich erst später heraus. Ich habe gut aufgepasst, bemerke derzeit jedoch eine Effizienzreduktion meiner Primärwaffe gegen Tagestrauer und Tagessorgen, nämlich der asymmetrischen Fokussierung, die im Wesentlichen auf den simplen Grundsatz heruntergebrochen werden kann, sich im Falle von morgendlichen Trauergefühlen oder Sorgen, die erfahrungsgemäß zumindest den ganzen Tag überschatten werden, auf eine in größerer zeitlicher Entfernung liegende und mit Vorfreude erwartete Gegebenheit zu konzentrieren, gewissermaßen hinter ihr Schutz zu suchen. Hier ein Beispiel.
Problem: Ein Schüler fürchtet, für die Mathematik-Schularbeit am nächsten Tag zu wenig gelernt zu haben.
Gegenmittel: Der Schüler denkt an die nahenden Sommerferien und stellt sich vor, mit der drallen Stiglitz-Mitzi im Wald zu verkehren.
Ein umgekehrtes Vorgehen empfiehlt sich im Falle quälender Monats- oder gar Jahressorgen. Ein Beispiel:
Problem: Ein Mann fürchtet, im Laufe der kommenden Monate seinen Job zu verlieren und sich das Leben nicht mehr leisten zu können.
Gegenmittel: Der Mann denkt an das kommende Wochenende und stellt sich vor, mit einer anonymen willfährigen Betrunkenen auf einem Parkplatz zu verkehren.
Wenn er Pech hat, fährt er auf dem Heimweg gegen einen Baum und ist tot, aber das hat für unser Beispiel keine Relevanz mehr.
Jedenfalls, wem das nicht hilft, dem ist nicht zu helfen. Mir etwa. Im Moment richten auch meine raffiniertesten Kontertechniken nichts gegen das beunruhigende Gefühl aus, nur Menschen zu begegnen, die zwischen ihrem Leben und der gesamtgesellschaftlichen Realität keine Zusammenhänge mehr erkennen können. Ich vermute, das hat etwas mit unserer Geschichtslosigkeit zu tun. Die meisten meiner Landsleute sind nicht alt genug, um eine von massiver existentieller Unsicherheit geprägte Zeit erlebt zu haben, sie glauben an den Ewigen Bausparvertrag. Sie können sich nicht vorstellen, was Not bedeutet. Kein Geld für den Einkauf im Supermarkt zu haben, in dem sowieso nur mehr kaum die Hälfte der in Normalzeiten angebotenen Waren erhältlich sind, klingt für sie nach einem Szenario, das ausschließlich Schulbuchrelevanz hat. Zu erleben, wie Wert schwindet, ist nicht angenehm, aber wenn es auch noch die wenigen Wertgegenstände betrifft, über die man selbst verfügt, wird die Sache haarig, und wenn man dann bemerkt, dass es allen anderen ringsum ebenso ergeht und selbst an traditionell panikfernen Personen Zeichen von Panik wahrzunehmen sind, weil die Welt im Umbruch ist, könnte den Klügeren dämmern, dass ihr Leben bislang ein einziges Freundschaftsspiel war und sie nun vor der Aufgabe stehen, von einem Tag auf den anderen ein neuer Mensch werden zu müssen, der Herausforderungen zu bewältigen hat, vor die er bis dahin nur Romanfiguren gestellt sah, nie aber sich selbst.
Das wird nicht passieren? Doch, wird es. Weil es immer wieder passiert ist und immer wieder passieren wird. Jede Generation erlebt zumindest einen Umbruch, wenn schon keinen Untergang. Wir glauben, ausgerechnet wir kommen ohne Prüfung durch. Aber das haben vermutlich die vor uns auch alle gedacht.
Unsere Sexualität ist ein Indikator, der dabei helfen kann, gesellschaftliche Entwicklungen vorauszuahnen und sie bei ihrer Ankunft mit Blumen und Musik oder mit Fackeln und Heugabeln am Bahnsteig zu empfangen. Daran, wie es zum gegebenen Zeitpunkt um die Akzeptanz individueller sexueller Vorlieben und Verhaltensweisen bestellt ist, kann man ablesen, wohin sich eine Gemeinschaft bewegt.
Immer wenn sich plötzlich die Zahl der Menschen, die den ganzen Tag zuhause sind, verdoppelt und verdreifacht, sich zugleich jedoch die Zahl der innerhalb der Nachbarschaft akustisch belegbaren Geschlechtsakte drastisch verringert, schwebt die Gesellschaft in Lebensgefahr.Wenn in meiner Nähe zwei oder mehrere Menschen miteinander Sex haben und dabei laut werden, vermerke ich das mit Wohlwollen: Hier wird gelebt. Solange die Schmerzensschreie, die jeden zweiten Tag aus der Wohnung des benachbarten BDSM-Pärchens dringen, realistisch klangen, habe ich mir keine Sorgen gemacht. Jetzt hören sie sich plötzlich gekünstelt an, von der Notwendigkeit eines Safewords kann keine Rede sein, und wenn doch eines vereinbart wurde, war es eher “Entenhausen” als “Tantalus”. Das sind Alarmzeichen.
Ich bin ja sowieso der Ansicht, dass die Demokratie, wie wir sie kennen, nur eine Fußnote in der Herrschaftsgeschichte bleiben wird, weil sie eigentlich nicht viel mehr als Reklame für echte Demokratie ist. Doch bei schlechter Werbung besteht die Gefahr, dass sich die Kunden nicht in ausreichender Zahl für das dahinterliegende Produkt interessieren, und da kann es leicht geschehen, dass gleich das gesamte Projekt auf Eis gelegt wird.Alternative Historie hat mich schon immer interessiert. Was, wenn die Gebrüder Wright abgestürzt wären? Was, wenn Gutenberg ignoriert worden wäre? Was, wenn im Ersten Weltkrieg eine lustige Haubitze so freundlich gewesen wäre, den Meldegänger Hitler vom Antlitz der Erde zu wischen?Wenn es nach dem deutschen Kaiser gegangen wäre, hätten wir z.B. eine viel frischere frische Luft. “Ich glaube an das Pferd”, sagte er. “Das Automobil ist nur eine vorübergehende Erscheinung.” Nun, wer weiß, vielleicht hatte er einen größeren Zeithorizont.
Ich glaube übrigens nicht, dass eines der oben genannten Ereignisse die Geschichte grundsätzlich verändert hätte. Julius Cäsar, Franz Ferdinand und John F. Kennedy werden das anders sehen, aber ich bin überzeugt, man kann den Lauf der Geschichte eher verändern, indem man etwas hinzufügt, als dadurch, dass man etwas wegnimmt. Das Schicksal einer Lücke ist, dass sie geschlossen wird, und etwas anderes tritt an die entsprechende Stelle. Etwas, das es nicht gegeben hat, kann man dagegen nicht ersetzen, was umgekehrt heißt, dass eine neue Figur ins Spiel zu bringen das Spiel von Grund auf verändert. Und das wiederum bedeutet, dass jeder Einzelne die Möglichkeit hat, den entscheidenden Unterschied in der Welt auszumachen, für einen anderen Menschen oder für alle anderen.Hoffentlich gibt es die richtigen Einzelnen für die Aufgabe, die unsere Generation nun zu lösen hat: Entweder wir erfinden eine bessere Demokratie, oder sie wird zumindest für ein paar Jahrhunderte verschwinden.
Manchmal finde ich in irgendeinem Winkel meiner Wohnung alte Manuskripte. Ich kann mich nie erinnern, diese Texte geschrieben zu haben, und es gibt auch kaum Anhaltspunkte, denn ich muss gestehen, so auf die Schnelle findet sich in dem Zeugs keine echte Handlung. Wahrscheinlich sind es Fragmente meiner Romane, an denen ich mich mit 19 oder 20 versuchte. Ab und zu sind Texte von Freunden dabei, die etwas auf meine Meinung zu ihren Schreibübungen gaben.
Heute fielen mir wieder ein paar vergilbte Zettel in die Hände. Ich musste nur die erste Zeile lesen, um zu wissen, dass ich diesen Text mit Sicherheit nicht geschrieben habe: “Mir ging das Geld im ungünstigsten Moment aus.” Ich wusste schon mit 20, dass Geld einem immer im bis dahin ungünstigsten Moment ausgeht, sonst hätte man ja schon davor keines mehr gehabt.
Es war aber das passende Wort zum Sonntag. Als Nachtportier ist man ja Beschäftigter in einem bedrängten Gewerbe wie dem Tourismus, und da kann es einem nicht egal sein, wenn der Welt das Geld ausgeht. Ein Wirtschaftskrach ist in gewisser Weise die gerechte Strafe für die Gierigsten der Gierigen, denn reich zu sein hat nur Sinn, wenn es andere Menschen gibt, die auch etwas haben. Wenn einer unermesslich reich ist und die anderen gar nicht haben, kann man gar nicht mehr von Reichtum sprechen, denn dann werden alle anderen endlich so schlau sein, dem Protz zu sagen, er soll sich mit seinen Scheinen den Hintern abwischen, sie sind ohnehin nichts wert. Wenn ein Herrscher den ersten Teil des Grundsatzes “Teile und herrsche!” nicht verstanden hat, wird er auf den zweiten Teil bald verzichten müssen.
Ein Amerikaner fragt per Email an, wie viele Coronainfizierte es in Österreich pro Bundesland gibt (er nennt sie Staaten), und ob wir ein freies Zimmer hätten. Ich antworte, ich würde sofort eine Zwangsuntersuchung der Bevölkerung durchführen und den K²-Faktor ermitteln, also die Zahl der Erkrankten pro Quadratmeter, in Fachkreisen auch die Quadratmeterkranken genannt, sobald er mir Fotos von seinem Privatjet und seinen geheimen Flughäfen in den USA und im Schwarzacher Umland geschickt hat. Nach kurzer Überlegung lösche ich die Kopie der Email aus dem Ordner, der die gesendeten Nachrichten enthält, damit Susi nicht aus Empörung in Ohnmacht fällt. Oder vor Lachen.
Wenn ich im Morgengrauen in Goldegg am See stehe, male ich mir gern eine apokalyptische Zukunft aus. In meiner Lieblingsphantasie wedelt ein Fettsack mit einem Hundert-Euro-Schein und grabscht mit der freien Hand nach dem Frankfurter Würstel auf meinem Teller, kriegt jedoch nur meine Gabel in die Hand gerammt. Ein wehrhafter Nachtwächter duldet keinen Mundraub. Mit Zahlen und hübschen Zeichnungen bedruckte Zettel gegen Überlebenswichtiges einzutauschen, das hat vielleicht vor Jahrhunderten bei irgendwelchen Buschindianern funktioniert. Naja.
Mein Dienstherr, Freund und Lieblingsquerkopf, der einzigartige Sepp Schellhorn, veranstaltet jedes Sommer das Festival “Das gute Leben”. Bis dahin ist noch Zeit, und ich hoffe, dass sich die planetare Gesamtsituation bis dahin verbessert, ich habe nämlich eine Wette laufen, dass es nicht abgesagt wird, und wenn doch, dann zumindest erst nach der Absage der Olympischen Spiele.
Warum?
Mir fällt außer “Liebst du mich?” und “War ich gut?” keine Frage ein, die so überflüssig ist und so leicht zu Meinungsverschiedenheiten führen kann wie das sich unschuldig gebende “Warum?” Warum? Weil sie ab einem bestimmten Komplexitätsniveau unbeantwortbar ist.
Ich bin der Ansicht, dass die meisten Menschen aneinander vorbeireden, nicht zuletzt, weil sie keine Energie haben, um aufmerksam zuzuhören, und daran tragen nicht sie die Schuld, sondern wir alle, weil wir uns seit Jahrtausenden in den wesentlichsten Fragen nicht weiterentwickelt haben. Wir akzeptieren die Machtverhältnisse der Welt, wir stellen nichts in Frage, wir fragen uns nicht, warum das reichste Prozent der Weltbevölkerung 40% des Weltvermögens besitzt und die ärmeren 50% nur 1% des Weltvermögens. Morgens stehen wir unnatürlich früh auf, um in einem öffentlichen Menschentransporter an unseren Arbeitsplatz gebracht zu werden, wo wir acht Stunden verbringen, in denen wir uns nur unwesentlich von einer Kuh unterscheiden, denn die steht herum und wird ab und zu gemolken, bis sie stirbt, wohingegen wir immerhin bei der Arbeit sitzen dürfen, es sei denn, wir hatten doppeltes Pech und müssen uns auf Baustellen oder als Fußballschiedsrichter verdingen. So oder so werden wir jeden Tag dazu gezwungen, etwas von uns herzugeben, von dem wir nicht wissen, ob wir es nicht noch gebraucht hätten, weil es keine Zeit gab, um sich damit zu befassen. Deswegen sind wir unvollständig, niemals ganz, verstehen wenig, ahnen viel. Warum? Ich hätte gern einen Bitcoin für jeden Amoklauf, der unmittelbar nach dieser Frage begonnen hat. Leider wird es niemals mehr als 21 Millionen Bitcoins geben.
Wenn es sich um ein phlegmatisches Menschlein handelt, wird es den Amoklauf zunächst zurückstellen und versuchen, die Frage zu beantworten, aber seien wir uns ehrlich: Zwischenmenschliche Kommunikation ist aufgrund der Unschärfe der menschlichen Sprache wenig effektiv. Es spießt sich ja schon bei den fundamentalsten Begriffen wie Liebe oder Spaß, die für keine zwei Menschen auf der Welt dieselbe Bedeutung haben. Da ist es besser, Sie lassen das Warum im Raum stehen und wechseln das Thema. Wenn Ihnen keines einfällt, könnten Sie sich schneuzen, das macht immer Eindruck.
Es spielt nämlich keine Rolle, was man sagt. Entweder der andere versteht Sie, oder er versteht Sie nicht. Jeder Versuch einer Erklärung wirft nur neue Fragen auf, ein Phänomen, das als Erster Lehrsatz der gesellschaftlichen Entropie bekannt ist, zumindest mir und jetzt auch Ihnen.
Die beste Antwort auf die Frage “Warum?” liest man übrigens bei Jaroslav Hasek: “Wenn’s auch war, wie’s halt war, irgendwie war’s, denn noch nie war’s, dass es nicht irgendwie war.”
Merken Sie sich das.
Der Österreichgeist (1)
Menschen, die überall nur Untergang sehen, sind mir früher auf die Nerven gegangen. Mittlerweile gibt es mehr Menschen, die überall nur Rettung sehen, und die sind noch schlimmer. Dabei haben die beiden Gruppen vieles gemeinsam, zum Beispiel die Ehrfurcht vor allem, was offiziell aussieht, und sei es eine Taxirechnung.
Obrigkeitshörige Menschen machen die Welt nicht besser. Das muss man so aussprechen, obwohl Gott wieder einmal auf uns beleidigt ist und die Zeichen der Zeit einen konsensual grundierten gesellschaftlichen Umgangston erfordern. Aber wer zu lange zu oft etwas “lieber nicht sagt”, der wird irgendwann nicht mehr wissen, was er sagen wollte. Was er wagen sollte /Ist was er sagen wollte. So schaut es nämlich aus.
Zugegeben, als (wenngleich ausgeheilter) Hypochonder bin ich wohl nicht die ideale Gewährsperson, wenn es um Pandemien geht. Ich habe jedoch festgestellt, dass es eine Neurose gibt, die noch viel schlimmer ist als die Angst vor Krankheiten (die letztendlich ja nur übergroße Lebensfreude verrät), und zwar die Angst, für ängstlich gehalten zu werden. Wenn die Menschen nur begreifen würden, dass sie durch ihre Lügen mehr über sich verraten als durch jede Wahrheit. Es ist doch lustig, dass wir, wenn wir überhaupt merken würden, dass wir lügen, beim Lügen den anderen weit weniger anlügen als uns selbst.
Vorsicht: Wenn man diesem Gedanken zu viel Raum lässt, traut man sich selbst bald nicht mehr über den Weg. Einfach weiterlesen.
Die Schulklasse meines Sohnes hielt in der abgelaufenen Woche ihre Skitage ab, also jene von Tourismusverbänden und Skiindustrie-Lobbyisten geschätzte Wintersportwerbung, die der umworbene Kunde selbst bezahlen muss. Am Tag vor der Abreise kam die Nachricht, die Lombardei sei wegen der Corona-Pandemie unter Quarantäne gestellt worden. Diese wohl nicht leichtfertig getroffene Entscheidung der italienischen Regierung erwähnte ich, als ich mich gegenüber der Kindsmutter für einen Skiwochenboykott aussprach, denn Skiwochen haben sowieso noch nie einen Menschen besser gemacht. Die Kindsmutter teilte meinen Standpunkt nicht. Erstens sei Berichterstattung über Corona nur Panikmache, was dadurch bewiesen würde, dass sie selbst gerade in Salzburg gewesen sei. Zweitens wäre für die Skiwoche bereits bezahlt.
Manchmal sehe ich den Geist Österreichs vor mir. So wie Gott sich eines brennenden Dornbuschs bediente, um die Ebenbildkonstante auszutricksen und in Moses nicht den Verdacht aufkommen zu lassen, es hätte weniger mit Gott als mit einem Schlaganfall zu tun, wenn ihm jemand, der so aussieht wie er selbst, den Auftrag erteilt, einen Massenexodus anzuführen, so zeigt sich mir der Österreichgeist gern in Gestalt eines gigantischen Gasthauses, in dem Millionen von Männern und Frauen schweigend an Tischen mit rot-weiß karierten Tischtüchern sitzen und mit tränenden Augen ein aus versalzener Suppe, flachsigen Schnitzeln, zum Himmel stinkenden Austern und begleitendem Glykolwein bestehendes Mittagsmenü in sich hineinstopfen, weil sie es schon bezahlt haben. Außerdem könnte sich der Wirt darüber beschweren, dass man nicht alles aufgegessen hat, und der Österreicher mag keine Konfrontationen. Darüber hinaus will man ja auch nicht als arrogant oder schwierig gelten. Oder als undankbar. Oder als jemand, der sich für etwas Besonderes hält.
Ich frage mich nur, wieso der Österreichgeist ausgerechnet mir erscheinen muss, anstatt scheißen zu gehen. Wahrscheinlich ist es die Strafe dafür, dass ich mich für etwas Besonderes halte.
Deutsche Wahrscheinlichkeit
Die Biergrippe bringt Statistiken und geheimnisvolle Wörter nach Österreich. Mortalitätsrate ist ein Wort, das gut klingt, aber schlimm ist. Das Schlimmste daran ist der Betrug. Wahrscheinlichkeitsrechnungen sind Pyramidenspiele, und Gott ist kein Würfelspieler, sondern ein Scammer.
Die Wahrscheinlichkeit, bei einem Flugzeugabsturz ums Leben zu kommen, beträgt 1:9125000 oder 1:9,125 Millionen. Die Wahrscheinlichkeit, beim Golf an einem der 18 Löcher ein Hole-in-One zu schaffen, liegt für einen Hobbyspieler bei 1:12000. Ich fliege nicht allzu oft, und ich spiele nicht allzu oft Golf, aber ich bin überzeugt, wenn ich einige Millionen Jahre lang fliegen und einige Millionen Jahre lang Golf spielen würde, käme ich auf jede Menge Abstürze und kein einziges Hole-in-One.
In Deutschland, berichtet Christian Hesse, sterben pro Jahr durchschnittlich vier Personen durch direkten Blitzschlag. Die Wahrscheinlichkeit, von einem Blitz erschlagen zu werden, liegt demnach für einen Menschen beliebigen Alters jährlich bei 1:20 Millionen, woraus folgt, dass Fliegen nur doppelt so gefährlich ist wie Spazierengehen. (Habe ich immer schon gewusst.)
Wenn die jährliche Wahrscheinlichkeit, vom Blitz erschlagen zu werden, bei 0.00000005% liegt, dann beträgt die Wahrscheinlichkeit, im März oder im September von einem Blitz erschlagen zu werden, laut Taschenrechner 0.000000000136%, und die wöchentliche Wahrscheinlichkeit, von einem Blitz erschlagen zu werden, 0.0000000000196, wobei eingeräumt werden muss, dass in diesen Berechnungen die jahreszeitlichen Schwankungen der Unwetterzahlen nicht berücksichtigt sind.
Am einfachsten merkt man es sich mit folgender Gleichung: 1 Jahreszeit = 1 Blitzopfer.
Wenn Deutsche beim Frühstück sitzen, liegt für sie die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Tages von einem Blitz erschlagen zu werden, bei 0,0000000000196. Jedes Jahr haben am Ende eines solchen Tages vier Deutsche guten Grund, sich als Auserwählte zu fühlen. Jedenfalls mehr Grund, als wären sie an einem Kugelschreiber erstickt. Daran, so schreibt Christian Hesse, sterben im Jahr nämlich 100 Deutsche, also 25 mal so viel.
Jetzt frage ich mich: Gilt diese Zahl weltweit? Oder nur für Deutsche?
Das richtige Leben im falschen (1)
Ich verhöre mich ja ständig. Ich meine damit kein polizeiliches Interview mit mir selbst, obwohl das auch vorkommt, sondern den Fluch, bei allem, was die Menschen sprechen, knapp danebenzuhören. Zum Beispiel schnappte ich neulich im Supermarkt auf, dass es ein Märchen gibt, in dem der Protagonist in eine Art Süßspeisen-Hungerstreik tritt, zumindest war das mein erster Gedanke, als ich jemanden “Der Strudelpeter” sagen hörte.
Wegen dieser Neurose hatte ich mich auch eine Weile gefragt, wie ein Satz, den irgendeine Fernsehgestalt in mein Wohnzimmer trompetet hatte, wirklich gelautet haben mochte. Ich hatte verstanden: “Es gibt kein richtiges Leben im falschen.” Da hatte ich mich bestimmt verhört. Meine Skepsis erklärt sich dadurch, dass die meisten Sätze, die mein Gehirn aus dem verworrenen Kommunikationsexperimenten meiner Umgebung herausdechiffriert, noch immer vernünftiger klingen als das, was von den mich umgebenden Erdlingen tatsächlich gesagt worden ist. Das richtige und das falsche Leben hatte sich zuerst so intensiv falsch angehört, dass es ebenso gut richtig sein konnte. Intensive Recherche förderte zutage, dass ich mich nicht verhört hatte.
Das ist ja auch kein dummer Satz, er klingt bloß so, als wäre er seinem Urheber auf dem Jakobsweg eingefallen. Der Satz klingt falsch, ist aber richtig.
Ähnlich verhält es sich mit manchem Kunstwerk, das zunächst nicht korrekt oder gar falsch wirken mag. Es ist jedoch richtig – es ist bloß neu richtig. So wie einst der Gesang von Wolfgang Ambros. Neulich fiel mir wieder das Album “Alles andere zählt net mehr” aus dem Jahr 1972 in die Hände. Ich spielte es meinem Sohn vor. Er war begeistert. Ich auch. Und ich war ergriffen. Ich hatte ganz vergessen, dass Wolfgang Ambros ein Genie ist. Wenn Sie mir nicht glauben, hören Sie es sich an. Wenn Sie mir glauben, hören Sie es sich erst recht an. Zumindest den Titelsong. Gleich jetzt.
Wie der erst 20 Jahre alte Ambros manche Töne nur antestet, wie er manches Wort halb verschluckt, wie er gegen sein eigenes Lied ansingt und gerade damit ausdrückt, was Roberto Bolano das “Neue, das immer schon da war” genannt hat, kann einem zumindest vorübergehend den Glauben an das Leben und an die Welt zurückgeben. An das richtige Leben in der richtigen Welt, die wir Menschen nur sehen können, wenn so ein Genie für uns kurz den Vorhang zur Seite schiebt.
Wir müssen das Thema Vertrauen diskutieren. Soll man? Bin ich dafür oder dagegen? Cui bono? Der Reihe nach.
Ich bin kein negativer Mensch. Vielleicht bin ich skeptisch, aber negativ – nein. Auch meine Skepsis ist nur eine berufsbedingte Notwendigkeit. Wie verlässlich wäre ein nicht skeptischer Nachtwächter? Er wäre fast so fehlbesetzt wie ein nicht skeptischer Schriftsteller. Ich stehe allen Rassen und Klassen mit der gleichen Voreingenommenheit gegenüber, unvoreingenommen bin ich nur gegenüber mir selbst und der Sprache, denn die wandelt sich von einer Sekunde auf die andere – und mit ihr der Blick des Einzelnen auf die Welt. Dazu ist keine Veränderung der Welt nötig. Im übrigen verändert sich die Welt nicht, sie verkleidet sich nur gern, aber bis das der Einzelne verstanden hat, war sie schon wieder dreimal in der Umkleidekabine. Wem soll man da noch vertrauen?
Der Sprache darf man nur vertrauen, wenn man ihr Wesen versteht. Es gibt nichtssagende und vielsagende Wörter, es gibt schöne und hässliche Wörter, es gibt Wörter, die wie Namen klingen, und Namen, die so ausdrucksarm sind, dass sie ihren Wortcharakter eingebüßt haben und zum Geräusch verkommen sind. Umgekehrt finden sich unter den Geräuschen solche Juwelen, dass man mitunter in Versuchung gerät, das eine oder andere mit Wortstatus auszuzeichnen und nach einer Konsolidierungsphase in den Adelsstand zu erheben. Wer gelegentlich seine Mußestunden in Gasthäusern verbringt – und es gibt Anhaltspunkte für die Vermutung, dass regelmäßige Leser dieses Blogs dies tun -, der hat im Laufe seines Gasthauslebens schon mehr als genug unter dem Ernährungslärm seiner Mitmenschen gelitten und ist entsprechend empfindlich, wenn er Ohrenzeuge eines Bäuerchens wird. Erschallt jedoch ein fettig prasselndes Rülpsen satt aus einem wahren Meistermund, wird Geräusch zum Wort, und Wort beinahe zur Melodie. Zumindest habe ich keine andere Erklärung dafür, dass Menschen ihre bei der Verdauung entstehenden Leibgase mit solcher Inbrunst und Freude und selten unkommentiert in die Welt pressen.
Zum Vertrauen ist Verständnis nötig. Zum Verständnis ist Vertrauen nötig. Aber ich verstehe niemanden, der sich über seine Fürze definiert, selbst wenn sie Transportmittel von Morsezeichen wären. Und vertrauen werde ich ihm erst recht nicht.
Womit wir wieder bei den Wörtern wären. Es gibt Wörter und Redewendungen, die so blöd sind, dass man sich vorstellen kann, was für denkwürdige Stunden man mit ihrem Erfinder erlebt hätte. Eine der blödesten Redewendungen, die ich kenne, ist eine Aufforderung zu mehr Disziplin, die schlimme Kinder auch heute noch hin und wieder zu hören bekommen: “Ja wirst du folgen?”
WIRST DU FOLGEN? Wie kommt man auf so etwas? Das ist auch nicht mehr weit von Arbeit macht frei. Kein Wunder, dass Kinder Erwachsenen nicht vertrauen. Vertrauen Sie denn irgendjemandem? Sollte man jemandem vertrauen, der Gefolgschaft verlangt?
“Glauben Sie an Gott?” wird Frank Underwood gefragt. “Das ist egal”, antwortet Frank. “Er glaubt nicht an uns.”
Fortsetzung folgt.
(sofern sie will)
Wenn Ihnen ein Fremder verspricht, Ihnen das Zehnfache jedweder Summe, die Sie ihm schicken, postwendend zurückzuschicken, was werden Sie tun?
Passieren könnte es nämlich. Sagen wir, Sie surfen im Internet und sehen plötzlich ein Video, in dem es offenbar um Marcel Hirscher oder Alexander van der Bellen geht. Darunter steht ein Text, offenbar ein Zitat von Marcel Hirscher oder dem Herrn Bundespräsidenten, der verspricht, Ihnen 10.000 Euro zu überweisen, wenn Sie ihm zuerst 1000 Euro überweisen. Alternative dazu gäbe es leider keine, steht da, denn nur auf diese Weise wüsste er, dass er Ihre und keine falsche Kontonummer hätte. Auch 500 Euro wären für den Anfang okay, aber dann gäbe es nur 5000 zurück.
Sie lesen das Ganze noch einmal. Und noch einmal. Was unternehmen Sie? Halten Sie das für eine gute Gelegenheit, ein bisschen Geld zu machen, und schreiben sich die Kontonummer auf?
Wenn Sie wirklich derartig blö … Ok, unter uns: Ersten Bank, Kontonr. AT682011184117517501. Ob Sie 500 oder 5000 oder 50.000 Euro überweisen, spielt keine Rolle, Sie bekommen auf alle Fälle zurück, was Ihnen zusteht. Diese Kolumne endet hier. Ab dem nächsten Absatz besteht sie nur noch aus Werbung für irgendeinen Mist, der Sie nicht interessiert, also lesen Sie bitte nicht weiter, Auf Wiedersehen.
Für den Fall, dass das noch immer Sie sind, habe ich zu Ihrem Schutz eine neutrale Zone in Form dieses Absatzes in den Text montiert. Vom Weiterlesen ist wirklich dringend abzuraten. Aus den Reihen der Chemtrail-Liga sind anonyme Drohungen eingegangen, und es besteht möglicherweise die Gefahr, in eine Falle zu geraten und radioaktive Buchstaben zu lesen, die binnen weniger Minuten die tödliche Strahlenkrankheit auslösen.
Es ist davon auszugehen, dass der gutgläubige Teil der Leserschaft uns jetzt verlassen hat, um sich der Herausforderung des Telebankings zu stellen, zumindest hoffe ich das. Dem Rest darf ich mitteilen, dass es diesen Schwindel tatsächlich gibt. In der Welt der Kryptowährungen werden derzeit die Kanäle bekannter YouTuber von Unbekannten gekapert, die kurzerhand ein ereignisarmes Video einer bekannten Krypto-Persönlichkeit in den Live-Stream des in Beschlag genommenen Kanals schicken, etwa eine Rede des Ethereum-Gründers Vitalik Buterin, in dessen Namen dann dazu in der Laufzeile aufgerufen wird, 1 ETH (1 Ethereum, z.Zt. 225 USD) an eine eingeblendete Adresse zu schicken, und schwupps, kämen 10 ETH zurück.
Was mich daran besonders irritiert, ist die große Zahl der Opfer dieses nicht gerade genialen Schwindels. Die Blockchain ist durchaus transparent, und man kann ohne Mühe auf etherscan.io die Geldflüsse solcher Konten nachvollziehen: Beim letzten dieser Hijacking-Betrugsfälle wurden binnen weniger Stunden mehr als 15.000 Dollar ergaunert. Ich frage mich, ob die Opfer heute noch auf ihre 10 ETH warten. Einige bestimmt.
Nur eine Sache macht mich noch nachdenklicher. Ich bin davon überzeugt, dass der Bitcoin eher früher als später die Basiswährung der Weltwirtschaft sein wird und die 18 Millionen bis heute existierenden Bitcoins zu einem Einzelpreis jenseits der 100.000 USD und noch weit höher gehandelt werden könnten (derzeit: 9.800 USD). Leider glauben das auch die Leute, die glauben, dass sie das Geld, das sie an einen irgendwo im Internetnirwana beheimateten Unbekannten schicken, kurz darauf von diesem verzehnfacht zurückerhalten.Das wirft Fragen auf. Sind diese Betrugsopfer Pechvögel, die einfach einmal einen schlechten Tag hatten? Oder sind es Narren, die ausnahmslos jeden Unsinn glauben? Und gilt in diesem Fall womöglich gar der Umkehrschluss, dass alles, was sie glauben, Unsinn ist?
Ich werde es nie mit Sicherheit wissen. Wie sollte ich? Auch eine stehengebliebene Uhr hat zwei Mal am Tag recht. Im Gegensatz zur Uhr, die bestimmt nicht so dumm ist zu glauben, ihre Zeiger würden sich drehen, nehmen wir Menschen schon geringfügige Erfolgserlebnisse zum Anlass, uns für eine intellektuelle Atomuhr zu halten.
Man sieht: Die Welt braucht keinen Gott, ein Schiedsrichter würde genügen.
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An der Biergrippe möchte ich wirklich nicht sterben, das war mein zweiter oder dritter Gedanke, als ich zum ersten Mal vom heimtückischen Coronavirus hörte, darüber würden sich ja meine Urenkel noch totlachen.
Unmittelbar davor hatte ich mir überlegt, wieso manchen Substantiven so häufig derselbe adjektivische Begleiter zugewiesen wird. Es ist ja nicht nur in menschlichen Liebesbeziehungen so, dass einem der Partner irgendwann ein wenig lästig zu fallen beginnt. Der Mensch muss von seinem hohen Ross herabsteigen und einsehen, dass auch andere Spezies das Recht auf Denken, Fühlen, Handeln und Fordern haben. Sobald er das akzeptiert hat, spielt es keine Rolle mehr, ob es sich dabei um einen Affen oder um einen Bleistift geht. Oder, wie in diesem Fall, um ein Substantiv. Kein Substantiv der Welt will tagaus, tagein neben sich ein Heimtückisch haben, auch dann nicht, wenn es sich, wie in diesem Satz, als derselben Spezies zugehörig tarnt. Ich kann mir vorstellen, dass manche Viren nur deswegen so rabiat geworden sind, weil sie von allen Seiten nichts als Verleumdungen und Schmähungen zu hören bekommen haben.
Simmt doch. Oder nicht? Ich war einmal mit einer Frau liiert, die sogar auf meine Klobrille eifersüchtig war. Lange hat das nicht gehalten. Im Nachhinein würde ich sagen, ich hätte mich tatsächlich etwas mehr beeilen sollen – und ich rede noch immer von der Beziehung. Wenn einem jeden Tag wahrheitswidrig unterstellt wird, fremdzugehen, wird man es irgendwann einmal tun, denn wieso die Strafe (Schelte und Hiebe) einstecken , wenn man das Verbrechen (Lecken und Stoßen) nicht begangen hat?
Noch besser wäre es natürlich, die Beziehung schon davor zu beenden. Wir Menschen werden nämlich mit einem freien Willen geboren, den es in den Jahrzehnten nach der Geburt mit aller Macht zu verteidigen gilt. Sie werden im Leben kaum jemanden treffen, der Sie nicht verändern will. Es scheint, als würde die Menschheit an einem Optimierungszwang leiden. Sogar wenn jemand über einen anderen sagt, er sei sein bester Freund, reibt er ihm trotzdem bei jeder Gelegenheit seine Fehler unter die Nase und fordert Verbesserungen ein. Mit Geschirr und Möbeln sind wir weitaus nachsichtiger als mit anderen Menschen. Wenn man eine Vase und ein Sofa gekauft hat, steckt man in die Vase irgendein ästhetisch ansprechendes Wiesenprodukt und legt sich ohne zu motzen aufs Sofa. Man verziert die Vase nicht mit Farben, man näht keinen neuen Überzug fürs Sofa, denn man hat Vase und Sofa gekauft, weil die Vase eben die Vase war, die sie war, und das Sofa das Sofa war, das es war, sonst hätte man ja eine andere Vase und ein anderes Sofa nehmen können, es herrscht in der Welt ja kein Engpass an Vasen oder Sofas. Über einen Mangel an Menschen kann man sich in unserer Welt auch nicht beschweren. Man sollte sich für die Wahl der wenigen, für die man zuhause Platz hat, eben genug Zeit lassen, damit man nicht irgendwann an Umtauschfantasien erstickt.
Also: Wenn wir den ganzen Tag hören, wir seien heimtückisch, würde uns das sanfter und netter werden lassen? Gewiss nicht. Wie können wir von einem Virus mehr Langmut erwarten als von uns selbst? Wir erwarten einfach zu viel von der Welt, und meistens geben wir ihr auch zu wenig. Wir fordern mehr, als uns zusteht, und wir geben weniger, als wir könnten und sollten.
Vor einigen Jahren las ich auf irgendeiner Toilette irgendein Toilettenbuch, in dem stand, wie wichtig es sei, die eigenen Gedanken zu kontrollieren. Wenn ich den Autor richtig verstanden habe, sieht er darin eine der fundamentalen Voraussetzungen für ein Leben, das nicht von inneren oder äußeren Konflikten ausgehöhlt wird. Ich bin mir nicht sicher, ob ich da vorbehaltlos zustimmen kann. Ein regelmäßiges Hinterfragen der eigenen Standpunkte halte ich für sehr vernünftig, solange man der Versuchung widersteht, einen Selbstanklagekult zu betreiben und sich Hochofenmengen von Asche auf das Haupt zu streuen, ehe es womöglich ein anderer tut. Das Prinzip des vorauseilenden Gehorsams war mir schon immer zutiefst unsympathisch, noch unsympathischer als das der Kontrolle. Mit Kontrolle assoziiere ich Mangel an Mut, wenn nicht gar Angst, und nichts auf der Welt raubt uns mehr Zeit und Energie als Angst. Vor Zeitverschwendung habe ich mehr Angst als vor Enttäuschungen.
Immerhin rät der Autor nur dazu, die eigenen Gedanken zu kontrollieren, von den Gedanken anderer ist nicht die Rede. Das ist auch besser so. Fremde Gedanken kontrollieren zu wollen wäre nur Zeitverschwendung. Die eigenen präsentieren sich bei genauer Betrachtung schon verstörend genug, daher dürfen wir annehmen, dass uns ein offener Blick auf die Gedanken anderer vor massive Probleme stellen würde. Um fremde Gedanken zu kontrollieren, müssten wir sie ja erst einmal zum Kampf stellen, denn man kann nichts kontrollieren, das einem davonläuft, und bis man die fremden Gedanken endlich erwischt hat, kann einige Zeit vergehen, ich zumindest bekomme schon meine eigenen kaum zu fassen. Solche Gedankenringkämpfe auf fremdem Boden sind aufgrund ihres invasiven Charakters moralisch fragwürdig und darüber hinaus ohne praktischen Nutzwert, es sei denn, man ist ein leidenschaftlicher Soziopath. Wenn man die Gedanken anderer steuern kann und damit ihre Handlungen, verliert die Wirklichkeit deutlich an Reiz, es sei denn, das Leben hat einem auch den allerletzten Rest an Neugier ausgetrieben.
Der Wunsch, die eigenen Gedanken zu kontrollieren, ist überdies weniger weit verbreitet als der, die Gedanken anderer zu kontrollieren. Kaum ein Ziel verfolgen wir mit größerer Beharrlichkeit als jenes, die Gedanken anderer nicht über bestimmte, für uns verkraftbare Grenzen hinauswachsen zu lassen. Dies betrifft nicht nur Menschen, die wir als Widersacher ansehen, im Gegenteil. Wir haben solche Angst vor den möglichen Handlungen derer, die wir lieben, dass wir alles daran setzen, ihre Gedanken einzudämmen wie einen Waldbrand. Dazu bedienen wir uns stummer Warnungen, versteckter Drohungen und getarnter Bestrafungen, die niemand bemerkt, weder die anderen noch wir selbst. Die Wahrheit ist: Wenn es uns doch einmal gelingt, unsere Gedanken zu kontrollieren, sind es garantiert die falschen.
Zeit (1)
Als ich 12 Jahre alt war, wurde meine Leidenschaft für das Schachspiel so groß, dass sie alles andere aus meinem Leben verdrängte. Ich vernachlässigte meine Freunde, ich schwänzte das Karate-Training (das mir ohnehin zu anstrengend war), und für die Schule tat ich nur noch das Allernötigste. Zumindest dachte ich das, doch ein paar Monate später wurde ich eines Besseren belehrt, als mir mein Klassenvorstand ein Zeugnis überreichte, in dem drei Nichtgenügend standen, wodurch ich nicht einmal die Chance einer Nachprüfung bekam. Zu diesem Zeitpunkt überraschte mich dieses Fiasko nicht mehr, im Gegensatz zu meinen Großeltern, die um Fassung rangen, in diesem Kampf jedoch auf verlorenem Posten standen.
“Du verlierst ein ganzes Jahr!” rief mein Großvater. Meine sozial denkende Großmutter, die jüngste von acht Schwestern, zeigte etwas mehr Empathie: “Du verlierst alle Freunde in deiner Klasse!”
Das wäre vielleicht der richtige Zeitpunkt gewesen, um zu erwähnen, dass ich überdies von der Schule geflogen war, aber ich wollte meinen Großeltern unnötigen Ärger ersparen. Sie waren sehr alt. Alten Menschen, hatte ich gehört, konnte Aufregung gefährlich werden. Ab wann man alt war, hatte ich nicht gehört. Ich hätte mir eine verbindliche Zahl, zumindest eine Orientierungshilfe gewünscht, aber die hatte ich nicht, also hielt ich mich an die Faustregel, dass graue oder keine Haare das langsame Auslaufen des irdischen Mietvertrags signalisierten, und nach der waren meine Großeltern alt.
Es gibt sehr unterschiedliche Arten von Großeltern, doch eines ist allen gemeinsam: Sie sind alt. Da gibt es natürlich Nuancen, manche werden früher Großeltern, andere später, aber niemand wird Großvater oder Großmutter, ohne vorher Vater oder Mutter geworden zu sein. Damals, als ich nichts anderes wollte als Schach zu spielen, hatte ich für den Begriff der Zeit nur wenige Bezugspunkte. Um nachzufühlen, was fast 90 Jahre alt zu sein bedeutete, malte ich mir aus, meine Großmutter würde plötzlich beschließen, Schachweltmeisterin zu werden. Weil ich auch Schachweltmeister werden wollte, wusste ich, dass man fünf bis zehn Jahre lang nahezu täglich fünf bis sieben Stunden trainieren musste, um auch nur annähernd die Spielstärke zu erreichen, die dazu nötig war.
Ich stellte mir meine Oma an einem Schachbrett vor. Das war seltsam. Ich stellte sie mir an einem Brett gegenüber Weltmeister Anatoli Karpow vor. Das war so seltsam, dass ich lachen musste. Ich stellte sie mir beim Training im Wohnzimmer vor, wie sie sich abmühte, die Grundidee der Sizilianischen Verteidigung zu verstehen, im Wissen, dass sich der Weltmeister nur alle vier Jahre einem Herausforderer stellen musste und sie gerade erst die Grundzüge der Figuren erlernt hatte, und dabei verging mir das Lachen. Dieses Bild vermittelte mir deutlich, was es bedeutet, wenn man in Zeitnot gerät. So lernte ich, mir meine Zeit richtig einzuteilen.
Grübelzwang (1)
Auf dem Stuhl des Seehofschen Nachtwächters liegen Fluch und Segen, sagte mir die alte Nachbarin, von der ich annehme, dass sie mindestens sieben meiner Vorgänger gekannt hat, denn so sie sieht aus. Ein Bekannter schätzt ihr Alter auf 180 Jahre, ein alter Stammgast des Hauses findet das absurd, sie sei höchstens 140. Ich tippe auf knapp 100. Trotzdem tut sie so, als wäre sie 500 Jahre alt, womit sie, wie ich gerade merke, gar keine Ausnahme ist, denn ab einem gewissen Alter fühlt man sich so alt wie eine grauhaarige Schildkröte, und zwar sowohl was die Erinnerungen als auch die körperliche Verfassung anbelangt, es sei denn, man hat das ganze Leben lang Sport getrieben und Müsli gegessen und auf Alkohol, Tabak und Schweinefleisch verzichtet, dann erinnert man sich an alles, nur ist dieses Alles dummerweise nicht mehr als eine Aneinanderreihungen von Tagen des Verzichts. Wer möchte sich an so etwas erinnern? Unter diesem Gesichtspunkt kann man Demenz als eine Form der Notwehr interpretieren.
Was den Segen und den Fluch meiner Stellung betrifft, habe ich mir bislang keine Meinung gebildet. Fluch und Segen sind nicht selten voneinander schwer zu unterscheiden. Wenn ich mich festlegen müsste, würde ich sagen, Fluch und Segen meiner Stellung als einzig Wahrer Nachtportier ist der Grübelzwang. Ich müsste jedoch gleich einschränken, dass jeder Nachtarbeiter an Grübelzwang leidet, zumindest bevor er so lange gearbeitet und gegrübelt hat, bis er nicht mehr arbeiten kann, womit das Grübeln bei einem Teil der Betroffenen zurückgeht. Bei anderen wird sie verstärkt, die kaufen sich dann einen Porsche.
Mein Grübelzwang führte mich neulich zu einem alten Witz. Schauplatz ist eines jener Wohltätigkeits-Events, die von Idioten schon zum Zwecke der Protzerei und des Erwägens von Beischlafoptionen genutzt wurden, als sie noch nicht einmal Charity hießen. Ein Mann sagt zu einer Frau: “Würden Sie für 10 Millionen Euro mit mir schlafen, wenn das Geld zur Gänze einem guten Zweck zugeführt würde?”
Sie haben eine Woche Zeit, um zu überlegen, was Sie selbst als Frau antworten würden. Sollten Sie ein Mann sein, stellen Sie sich bitte nicht den umgekehrten Fall vor, nämlich eine Frau, die Sie vor diese Herausforderung stellt„ denn die Antwort kennen wir, sondern stellen Sie sich vor, es wäre ein Mann. Für den Fall, dass Sie homosexuell sind, lassen Sie sich bitte selbst eine Entsprechung einfallen. Fortsetzung folgt.
Eine wertvolle Informationsquelle regionaler Historiker und Volkswissenschaftler ist das vom Seehof keine zehn Minuten Fußweg entfernte Heimatmuseum, wo sich die von Fermentforscher Dr. Wilhelm Karas kuratierte Ausstellung sämtlicher erhaltener Tagebuchaufzeichnungen der Seehofschen Nachtwächter seit 1747 befindet (anzumerken ist, dass der für den Seehof zuständige Wächter auch für die Sicherheit des ganzen Weilers “Gold-Eck” bzw “Goldenegg”, wie Goldegg ursprünglich im Katasteramt genannt wurde, verantwortlich war, wobei der Seehof zugleich als Polizeistube und Rathaus gedient zu haben scheint). Wer sich die Mühe macht, die in den meisten Fällen kaum leserlichen Handschriften meiner Vorgänger zu entziffern, kann den vergilbten, seit dem Hochwasser von 1926 nach Moder riechenden Blättern wertvolle Blicke in die Vergangenheit abringen. Zwar scheinen die meisten Nachtwächter etwa ab dem 50. Lebensjahr zunehmend unter Gicht sowie Zwangsvorstellungen gelitten zu haben und schließlich in vollkommener Umnachtung gestorben zu sein, aber das ist ja heute nicht anders, es gibt niemanden, der einem Nachtberuf (Gastronomie, Beförderungswesen, Gesundheitswesen, Journalismus, Kunst) nachgeht, an dem nach zehn Jahren noch keine Symptome tiefer existentieller Verstörung zu beobachten sind.
Karas weist in seinem Vorwort zur Anthologie “Gold-Egg oder Das Goldene Ei” auf die überdurchschnittlich hohe Zahl an Glaubensfanatikern unter den Seehofschen Nachtwächtern hin. Seine Ausführungen über die Goldegger Missionare sind trotz eines heiklen Übermaßes an ungelenker Spötterei fesselnd. Mich haben sie zu der Überlegung geführt, ob Religion und Werbung nicht doch weitaus mehr verbindet, als sie voneinander trennt.
Unbestritten ist die Anziehungskraft von Glaubensseligkeit und Reklame: Wer unaufmerksam ist, geht schnell einer dieser beiden Geißeln in die Falle. Von der Öffentlichkeit weitgehend unbemerkt, scheinen die Führungsriegen beider Lager ein Stillhalteabkommen unterzeichnet zu haben, das in einem geheimen Zusatzprotokoll für den Fall eines Angriffs von außen wechselseitige aktive Unterstützung garantiert, und was asymmetrische Kriegsführung anbelangt, kann man weder dem Kirchenmann noch dem Werber noch viel beibringen. In stummer Übereinkunft teilen sie sich die Welt: Die Religion wendet sich an den unterdurchschnittlich intelligenten Teil der Bevölkerung, der keine Form der Manipulation bemerkt, das Ziel der Werbung sind die weltlicher gesonnenen Bevölkerungsgruppen, deren Vertreter zwar überdurchschnittlich intelligent sind, jedoch oftmals den tragischen Fehler begehen, davon auch selbst fest überzeugt zu sein. Der daraus resultierende Mangel an Selbstkritik beraubt ihre Gedanken der Schärfe, ihre Handlungen der Redlichkeit und ihr Gemüt aller menschenfreundlichen Ausgeglichenheit. Das Endergebnis bezeichnet man fachsprachlich als Grant.
Die kritischste Gemeinsamkeit der beiden Säulen des Krämertums ist ihre Taktik, potentielle Neukunden mit der Aussicht auf eine goldene Zukunft zu ködern. Im nächsten Leben wird alles besser, sagen die einen. Es gibt schon hier eine bessere Welt, sagen die anderen. Es gibt kein richtiges Leben im falschen – sagt niemand. Wer noch wachen Sinnes ist, wird da zum Einzelgänger.
Das Wort Arbeitsplatz hat verschiedene Bedeutungen, und keine davon erzeugt bei einem geistig gesunden Menschen überwiegend angenehme Assoziationen. Man muss kein Fundamentalpessimist sein, um von Arbeitsplatz die Begriffe Arbeitsplatzverlust und Arbeitslosigkeit abzuleiten. Wenn man Umfragen glauben darf (was man darf, aber nicht sollte), fürchten sich die Österreicher vor nichts so sehr wie vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Das stellt dem Land kein gutes Zeugnis aus.
Die meisten Arbeitsstellen bescheren dem, der sie besetzt, Magengeschwüre, ungewollte Elternschaft, den Verlust der moralischen Geradlinigkeit und galoppierende intellektuelle Verwahrlosung. Dafür erhält er im ersten Halbjahr jeweils zu Monatsende eine Aufwandsentschädigung. Ab Juli oder August bekommt er gar nichts mehr, stattdessen wird sein Geld an Lehrer, Straßenkehrer, Sheriffs und Stempellutscher verteilt. Wenn sich so jemand vor dem Verlust seines Arbeitsplatzes fürchtet, gehen in ihm Dämonen der Knechtschaft zu Werke, ansonsten hätte er davor Angst, seinen Arbeitsplatz nicht zu verlieren. Lange Zeit war ich der Ansicht gewesen, abseits des Künstlertums gäbe es ausschließlich Arbeit, die unfrei macht. Wäre ich nicht so privilegiert, im Seehof als beeideter Sachverständiger für Nachtwache wirken zu dürfen und inoffiziell sogar die Position des Majordomus zu bekleiden, wäre mir wohl noch lange nicht aufgefallen, dass nicht jede herkömmliche berufliche Tätigkeit zwingend Foltercharakter haben muss.
Mein Großvater riet mir einst, ehe ich begann, Bücher zu schreiben: Verdiene dein Geld mit deinem liebsten Hobby, dann wirst du dein Lebtag keine Stunde arbeiten. Damit mochte er theoretisch recht haben, aber so intensiv ich auch suchte, ich fand niemanden, der mich für mein liebstes Hobby bezahlen wollte. Mein zweitliebstes Hobby war Autofahren, also versuchte ich mein Glück als Taxifahrer. Nach drei Monaten war Autofahren im Ranking meiner Lieblingshobbies weit nach hinten gerutscht, Ich dachte bereits daran zu kündigen, als die ersten Mini-Fernseher auf den Armaturenbrettern der Taxis auftauchten und mein Boss in allen Wagen seiner stolzen Mercedes-Flotte einen kleinen Bildschirm installieren ließ. Ein paar Monate später baute er sie reumütig wieder aus, aber zu spät. Aufgrund der absurden Anzahl neuer Schadensfälle hatte ihn die Autoversicherung bereits mit Verdacht auf schweren Betrug angezeigt.
Das ist einer der Vorteile meiner Stellung im Seehof: Solange ich den Fernseher nicht zu laut drehe, könnte ich während meiner gesamten Arbeitszeit fernsehen, ohne dass es zu Beschwerden käme. Ich lasse ihn trotzdem ausgeschaltet. Erstens, weil ich sonst die Annäherungsversuche von Einbrechern, Mordbrennern und anderen Spitzbuben überhören könnte, zweitens, weil ich das Geflüster der Gespenster nicht verstehen würde, und drittens, weil ich am Ende womöglich wieder glauben könnte, Fernsehnachrichten hätten mehr Realitätsgehalt als die Romantikserien davor und die Krimis danach..
Es wurde an dieser Stelle bereits darauf hingewiesen, dass der Volksmund generell die Pappen halten soll. Das Wort Volksmund klingt schon so, wie das Bezeichnete ist, alle Assoziationen sind widerlich. Auf einer abstrakten Ebene verbindet man den Volksmund schnell und nicht unzutreffend mit dem Begriff “Völkischer Bote”, und wenn jemand einen Satz mit “Wie der Volksmund so schön sagt…” beginnt, kann man davon ausgehen, dass man entweder mit einem Arsch oder mit Karl Heinrich Waggerl redet, und da Waggerl schon vor langer Zeit das Leben verlernt hat,.steckt man bis über die Ohren in Problemen, weil man entweder das Valium mit dem LSD verwechselt hat oder tot ist. Da ist es besser, mit einem Arsch zu reden, solange es kein Selbstgespräch ist, denn vor den anderen Ärschen kann man davonlaufen, wenn man sie einmal identifiziert hat.
Ein Sprichwort, das aufgrund seiner Korrektheit und Prägnanz nicht dem Volksmund entstammen kann, lautet sinngemäß, wenn jemand in einem bestimmten Alter noch immer nicht bemerkt hat, dass er hauptsächlich von Arschlöchern umgeben ist, hat das seine Gründe.
Zumal man nicht 100 Prozent seiner geistigen Spannkraft benötigt, um eine Festung wie den Seehof zu beschützen, noch dazu in einer so kriminalitätsfeindlichen Umgebung wie Goldegg, habe ich als Nachtwächter viel Zeit, um über die Wesensart von Menschen nachzudenken. Bin ich der Mensch, der ich sein will? Benehme ich mich gegenüber den Menschen, mit denen ich es zu tun habe, im Sinne des kategorischen Imperativs?
Erstens: Woher soll ich das wissen? Zweitens: Der kategorische Imperativ hat einen Geburtsfehler, denn er leugnet die Existenz von Psychopathen. Ich habe meinen eigenen Gedanken ohnehin noch nie über den Weg getraut, ich hatte schon immer den Verdacht, dass mein Unterbewusstsein meine Geschicke lenkt, und fallweise in eine Richtung, die bei meinem bewussten Ich geringe Akzeptanz findet, und zum anderen kann am Ende ohnehin nur die Erkenntnis stehen, dass ein schlechter Charakter keine Frage des Standpunkts ist, sondern des Zeitpunkts. Obwohl ich nicht allen 110 Milliarden Menschen, die bisher gelebt haben, persönlich begegnet bin, wage ich zu behaupten, dass sich kaum einer von ihnen in jeder Sekunde seines Lebens wie ein Arsch benommen hat. Wahrscheinlich hatten selbst Stalin, Hitler und Dschingis Khan Momente der Liebenswürdigkeit, weshalb man sich nicht der Tatsache verschließen darf, dass per se jeder Mensch liebenswert ist. Wenn sich die Mehrheit von uns nun von einem Tag auf den anderen dazu durchringen könnte, diesen Grundsatz auch für sich selbst gelten zu lassen, hätten wir morgen eine neue Welt, und gelänge es auch mir, müsste ich vielleicht nicht mehr die Nacht bewachen.
Zum ersten Mal in meinem ganzen Leben hat am heutigen Tag ein Computer einen meiner Texte atomisiert. So oft hörte ich einst die Warnungen, immer Sicherungskopien zu machen, am besten automatisiert, so dass man nicht mehr daran denken muss, und so oft hörte ich tragische Geschichten, in denen es um verlorengegangene Romandateien ging, doch mir ist so etwas nie passiert, sodass ich irgendwann sogar die theoretische Möglichkeit eines Texttotalausfalls ausschließen begann. Denn selbst wenn der Akku leer ist und der Rechner von jetzt auf gleich den Geist aufgibt, wird eine wiederhergestellte Datei bereits auf mich warten, sobald ich den Laptop mit einem Stromnetz verbunden habe.
Heute war das nicht so. Die Kolumne, die Sie an dieser Stelle hätten lesen sollen, ist nach einem Systemabsturz, zu dem einige Missgeschicke (Subjekt: Kaffee, Cola, Suppe; Objekt: Laptoptastatur) der vergangenen Wochen beigetragen haben mögen, verschwunden und nicht mehr aufgetaucht.
Ersatzloses Verschwinden gibt es in der Natur nicht, habe ich in der Schule gelernt, Alles wandelt sich, nichts vergeht, was vor dreißig Jahren von oststeirischen Neu-Spiritisten als Leitsatz ihrer Gesellschaft adaptiert wurde, deren Sitzungen Kontaktaufnahmen zu frisch oder weniger frisch Verstorbenen versprachen. Ich kannte einige der Protagonisten der Gesellschaft, weil ich noch an allen Orten früher oder später die Bekanntschaft der interessantesten Narren gemacht habe. Zudem war ich 15 und vermisste meine Oma, die kurz zuvor gestorben war. In so einer Situation bleibt einem nichts anderes übrig, als an ein Leben nach dem Tod inkl. Wiedersehen zu glauben, eine Tatsache, die pfiffige Menschen seit Jahrhunderten ausgenützt haben, um Wasser in Wein und Oblaten in Geld zu verwandeln.
Ich hielt es für möglich, dass meine Oma mich des Öfteren besuchte, unsichtbar natürlich, um zu sehen, wie es mir ging. Ich war fast sicher. So sicher, dass ich beim Masturbieren monatelang das Licht ausschaltete, weil ich annahm, Geister wären nicht mit Nachtsichtgeräten ausgerüstet.
Kein Leben nach dem Tod, diese Theorie lehnte ich ab. Mir missfiel der Gedanke, meine tote Oma könnte sich von einem warmen, sprechenden, denkenden, herumgehenden Körpers in das Beinahe-Nichts eines kalten, verwesenden, stummen und erstarrten Körpers verwandelt haben, womit die Aussage des Alles wandelt sich, nichts vergeht schon erbracht wäre, jedoch auf unbefriedigende Weise, weil das bedeuten würde, dass ich mich eines Tages auch in nichts anderes als einen kalten, modernden, schweigsamen Körper verwandeln würde, und wer hätte je zwei solche Körper miteinander im Gasthaus oder am Strand bei einer Wiedersehensparty gesehen?
Kann eine Kolumne in den Himmel kommen? Den ganzen Tag beschäftige ich mich nun schon mit dieser sowie mit der Frage, welches Wiedersehen wahrscheinlicher ist, das mit meiner Oma oder das mit der verschwundenen Kolumne. Ich könnte geistlichen Rat einholen. Aber wo? Verglichen mit der katholischen Kirche ist Apple ja nur eine Sekte.
Mit meinem Dienstherrn Sepp Schellhorn verbindet mich neben einem etwas diffusen Wertekanon ein unzulänglich austherapierter Drang zur Produktion von Schabernack. In meinem Fall ist dieser Drang so unbezähmbar wie ungünstig, als ich aufgrund meiner Unfähigkeit, Scherz und Ernst klar voneinander zu unterscheiden, sehr leicht zur Zielscheibe von Racheakten werden kann. Mich reinzulegen ist nicht schwierig, weil ich alles für möglich halte.
Das klingt eigentlich nach einer Stärke: Wer alles für möglich hält, den kann man nicht beeindrucken. Schon richtig, aber einer, der alles für möglich hält, glaubt auch so gut wie alles. Ich habe einmal eine halbe Stunde lang meinem Cousin zugehört, der von einer schweren Krankheit einer Gelse erzählte. Ich hielt das keineswegs für ungewöhnlich bzw. nahm an, „Arzt“ sei eine Metapher, bis mir einfiel, dass die Frau meines Cousins Else heißt. Aus dem Umstand, dass sich dieser Name in Klangnähe zum österreichischen Wort für Stechmücke befindet, zog ich entsprechende Schlüsse.
Gestern saß ich am Vormittag in der Küche des Seehof und verschlang das sechste Butterbrot des Tages, als ich jemanden wimmern hörte. Mein Dienst lag hinter mir, aber ein Nachtwächter fühlt sich tagsüber nicht zwingend unzuständig, wenn jemand in Not ist, weshalb ich auf die Suche nach dem Wimmernden ging. Sie blieb erfolglos.
Ich aß weiter. Der Wimmernde wimmerte weiter. Und weiter.
Fallweise hörte sich sein Wimmern an wie Musik, und zwar wie geradezu kompromisslos schlechte, furchtbar depressive Musik, die von Menschen gehört wird, die sich den Unterschied zwischen Denken und Schreien nicht merken können. Was ist das, dachte ich, wird da jemand gefoltert, singt jemand, oder bilde ich mir diese Geräusche nur ein? Wimmere ich selbst? Sitze ich auf Herrn Hermann, dem Hausmops?
Weil mich die Sache nicht losließ, machte ich mich nach dem siebten Butterbrot erneut auf die Suche nach dem Urheber dieser Misstöne. Ich schlich mit Detektivmiene durchs Haus, bis mir der feixende Sepp Schellhorn auseinandersetzte, die von mir als Wimmern interpretierten Geräusche seien ein Lied von Andreas Gabalier, das Pepsch eigens für mich nun schon zum zehnten Mal aus den Boxen der Stereoanlage rieseln ließ. Was ich a) sofort glaubte, b) sofort vergaß und c) insofern bemerkenswert fand, als mir das Lied kurze Zeit später zu gefallen begann.
Das darf ich niemandem erzählen, dachte ich noch, ehe mir aufging, dass das Lied kein Lied war, sondern die Geräusche des auf vollen Touren laufenden Geschirrspülers hinter mir.
Das darf ich erst recht keinem erzählen, dachte ich, denn einer von uns dreien verliert sonst garantiert seinen Job, entweder Gabalier oder ich oder der Geschirrspüler.
Mit Namen hat es eine eigene Bewandtnis. Ich weiß nicht, ob dieser Satz korrekt ist, aber ich wollte ihn unbedingt einmal schreiben. Mit Namen ist es ja wirklich so eine Sache: Jeder hat einen, also hält sich jeder für einen Namensachverständigen. „Agnes ist ein hässlicher Name“, kann man so jemanden sagen hören, worauf sein Gegenüber, ebenfalls Namensachverständiger, entschieden widerspricht: „Agnes ist ein königlicher Name!“
Vornamen haben es nicht leicht. Oft sind sie Ziel von Spott und Hohn, ohne sich im Gegenzug hin und wieder über höchste Verehrung freuen zu können. Ich zumindest habe noch nie erlebt, dass jemand eine Viertelstunde lang einen Namen gerühmt und gepriesen und sich vor Begeisterung überschlagen hätte, aber ich habe schon Personen dabei belauscht, wie sie stundenlang über Namen herzogen, mutmaßlich weil sie einzelne Träger dieser Namen zu einer Subspezies des Menschen rechneten. Antipathie gegenüber Wörtern, und nichts anderes ist ein Name zu allererst, hat so gut wie immer mit einer verborgenen oder einer ganz und gar nicht verborgenen Abneigung gegen etwas oder jemanden zu tun. Namen sind Wörter, und so gut wie alle Wörter sind Signale, die beim Empfänger mehr oder weniger starke Emotionen auslösen. Es ist daher müßig, sich lange mit dem Studium der Vornamenwissenschaften aufzuhalten. Die Zahl der Vornamen ist begrenzt, jedenfalls hierzulande, nicht jedoch in Amerika, wo Individuen herumlaufen, die es normal finden, Regenbogen, Sommer, Fluss oder Schwanz genannt zu werden.
Anders verhält es sich mit Nachnamen, sie haben deutlich individuelleren Charakter. Ein leicht angetrunkener Hausgast von höchstem Liebreiz setzte mir neulich während meiner Nachtwache auseinander, dass die Nachnamen der Schlüsselfiguren einer Gemeinschaft deren zeitgeschichtliche Bedeutung widerspiegelten, und nannte als Beispiel Terroristennamen.
Wohl wahr: Die Akteure des linksextremen Terrors der Siebzigerjahre hießen bedeutsam Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe, Brigitte Mohnhaupt oder Holger Meins. Aber der Name ist Teil der Geburtsausstattung, somit zufälliger Natur, und erfordert keine kreative Eigenleistung. Die ist gefragt, sobald sich Menschen, ihrem Herdentrieb folgend, zu einem Klub zusammenschließen, was Bedarf an einem Vereinsnamen erzeugt. Linksterroristen, die sich vollmundig Rote Armee Fraktion nennen und nicht bemerken, dass das Kürzel RAF bereits an die nicht unbekannte Royal Air Force vergeben ist, sollten genaugenommen zunächst ihre PR-Führungskader füsilieren lassen, bevor sie sich Manager und Bankiers vornehmen. Nur weil man gut heißt, darf man nicht Fleiß und geistige Anstrengung vermissen lassen.
Wenn man Rechtsterrorist ist, hat einem das Schicksal noch übler mitgespielt. Abgesehen von allem anderen wird man sich bei der Aufgabe, einen Verein zu gründen, mit Sicherheit blamieren, weil sich der Mitgliederzulauf in Grenzen hält und sich nur ein Kumpel und eine gemeinsame Freundin einschreiben wollen. Wenn einem dann aber kein besserer Klubname als „Nationalsozialistischer Untergrund“ einfällt und man zu allem Überfluss auch noch Uwe Mundlos heißt, kann man sich gleich erschießen. Bzw. wäre es von Vorteil gewesen, er hätte sich gleich erschossen und nicht erst nach zehn Morden.
Politische Extremisten ermüden, ihre Namen bedrücken mich. Zur Ablenkung denke ich an die großen Tennisspieler meiner Kindheit. Björn Borg, Jimmy Connors, John McEnroe, Ivan Lendl: Bei diesen Namen bekomme ich Gänsehaut. Tennisspieler wissen eindeutig besser zu heißen als Nazi-Terroristen.
Neulich kam bei einer Konferenz meiner verschiedenen Persönlichkeiten die Frage auf, wann der Konsum seinen Aufstieg zum primären Antidepressivum begonnen haben mochte. Ich verzichte darauf, die Schlägerei zu schildern, die in mir darüber entbrannte; wir sind in meinem Gehirnplenum traditionell sehr meinungsdivergent, und bevor wir uns auf einen neuen Kompromiss einigen, der sich semiotisch bescheiden mit den Buchstaben I, C und H begnügt, besteht allerhand Klärungsbedarf. Sollten Ihnen an mir oder einem beliebigen anderen Menschen viele widersprüchliche Äußerungen oder Handlungen auffallen, dürfen Sie davon ausgehen, dass dessen aktuelles Ich bei der jüngsten internen Urabstimmung seiner Persönlichkeiten von einer absoluten Mehrheit weit entfernt war.
War Konsum für uns von Anfang an so wichtig? Würde das nicht bedeuten, dass Menschen schon vor Jahrtausenden lebenslang und meist vergeblich nach dem unbekannten Mangel in unserer Wirklichkeit gesucht haben, nach dem vergessenen Element, das unsere Existenz erklären, verbessern oder uns zumindest mit ihr aussöhnen könnte? Waren wir schon immer wir? Wieso ist niemandem etwas Besseres als das aktuelle Menschenmodell eingefallen (eine Frage, die auch in meinem Gehirnplenum dann und wann tumultuös diskutiert wird, nur dass es da um mich geht)?
Was mögen wohl Steinzeitmenschen konsumiert haben, um ihre Laune zu verbessern? Wald, Luft, Licht, Sonne? Kein Wunder, dass bald der Ruf nach dem Fernsehen aufkam. Probierten sie in einem Laden für Luxusfelle Winterbekleidung unterschiedlichen Schnitts und Materials? Vermutlich. Besuchten sie Höhlenzeichnungs-Vernissagen? Die hätten ihnen bestimmt mehr Spaß gemacht, hätten sie eines der Exponate erwerben und zu Hause aufhängen können, was aufgrund der technischen Herausforderungen jedoch nicht in Frage kam. Bleiben nur Grillpartys mit Fliegenpilzbegleitung und anschließender Orgie. Da wurde bestimmt alles konsumiert, was konsumiert werden kann, aber Überkompensation dürfte schon damals nicht mehr als ein schales Gefühl im Betroffenen ausgelöst haben.
Irgendwann mutierten Konsum und seine antidepressive Wirkung vom Konkreten ins Abstrakte. Die zeitgenössische Ausprägung dieses Prinzips ist das rastlose Konsumieren von TV-Serien. Viele Leute schauen fern, als würden sie eine Flasche Wein austrinken, ohne sie einmal abzusetzen. Das ist nicht gut. Es sei denn, man sieht sich eine der TV-Serien an, die zu den größten narrativen Kunstwerken der Gegenwart zählen. Die Sopranos, Breaking Bad, Rick & Morty und Archer sollten als Antidepressiva verschrieben werden. Sie sind besser als jede Wirklichkeit, so wie es sich für eine gute Serie gehört. Ich würde viel dafür geben, in einer davon mitspielen zu dürfen, doch bislang wurde mir leider bloß eine Rolle in der Wirklichkeit angeboten.
Unlängst wurde wieder einmal Allerheiligen begangen. Dieses Wort hat mir schon als Kind nicht gutgetan, ich rätselte, ob sich am 1. November der Gründungstag des gleichnamigen steirischen Ortes jährt, und was zum Kuckuck es nützen sollte, mir Leichen vorzustellen, denn das war meine kindliche Interpretation des Begriffs Totengedenken. Was das anbelangt, bin ich bis heute nicht schlauer. Ich brauche kein Allerheiligen, um der verstorbenen Menschen zu gedenken, die mir lieb und teuer waren, ich denke ohnehin fast jeden Tag an sie, zumindest hier und da für einen Moment, für das Aufleuchten einer Erinnerung, die mich zum Lächeln und zum Seufzen bringt. Eines steht fest: Heilige waren meine Toten allesamt nicht.
Zu Allerheiligen begab es sich nun, dass ein von Wind und Wetter und vor allem von einem leeren Tank überraschtes junges Paar während meines Nachtdienstes an die Pforte des Seehofs klopfte und um Unterschlupf bat. Sie hatten die zauberhafte Ausstrahlung Jungverliebter, und so erschien es mir geradezu als Christenpflicht, sie aufzunehmen, und das, obwohl ich Pastafari bin und nur an das Fliegende Spaghettimonster glaube. Arrr!
Eine halbe Stunde, nachdem ich ihnen den Zimmerschlüssel gegeben hatte, stand die Dame erneut vor mir, diesmal allein. Ich hatte sie nicht kommen gehört. Sie war barfuß, und wenn man es genau nahm, trug sie am ganzen Körper nicht mehr als an den Füßen. Sie war schön, sie schaute mich mit diesem bestimmten Blick an, sie öffnete den Mund, langsam, und ich hörte sie sagen:
„Haben Sie Klopapier?“
An dieser Stelle wurde meine Angst so groß, dass mein Verstand einen Ortswechsel für angebracht hielt und mich aufwachen ließ.
Es war Mittag, Ich lag in meinem Bett. Das jungverliebte Paar hatte es nur in meinem Traum gegeben. Nein, ich brauchte keine Angst vor einem Skandal zu haben, weil unter meiner Aufsicht nackte Gäste durch den Seehof irrlichterten.
Das ist der Punkt, der mir Sorgen macht: Wenn ich schon so trivialerotische Träume habe, wieso sind es dann nicht wenigstens richtige Sexträume, sondern Angstträume, in denen ich die Aufgabe habe, in einem Akt höchster Selbstverleugnung nackte Gäste von den Vorzügen des Bekleidetseins zu überzeugen? Bedrückt mich etwa auch ein Jahr nach Dienstantritt noch immer die große Verantwortung, die ich als Nachtportier trage? Oder liegt es an Allerheiligen?
Mein Chef, den ich um Rat fragte, beschied mir: „Du wirst eben alt.“
Ich frage mich, wie er das gemeint hat.
Kürzlich wurde ich bei einem Ausflug in die schmucke Stadt Salzburg Zeuge eines Streits zweier Busfahrerinnen. Worüber sich die beiden uneins waren, kann ich nur vermuten, will ich aber gar nicht.
Die stehende Busfahrerin schien beauftragt worden zu sein, die sitzende und lenkende Busfahrerin einzuschulen, eine Aufgabe, der sie offensichtlich nicht gewachsen war, während die sitzende Lenkerin ganz offensichtlich nicht der Aufgabe gewachsen war, sich einschulen zu lassen. Die sitzende Busfahrerin war korpulent, die stehende Busfahrerin schlank, und beide sahen sich lieber in der Position der Sprecherin als der Zuhörerin, was in der konkreten Situation insofern günstig war, als dadurch beide Parteien nur einen Bruchteil der ihnen zugedachten Beschimpfungen hörten, was meiner festen Überzeugung nach ein Blutbad nur knapp verhinderte bzw. aufschob, denn soweit ich es ihrer Konversation entnahm, sollten die beiden jeden Tag dieser Woche aufeinander losgelassen werden, und es war Montag.
Die Szene war nicht nur wegen der beeindruckenden Präsenz der beiden Frauen einprägsam, sondern bleibt mir auch wegen des Einschreitens eines eifrigen Fahrgastes in Erinnerung, der die stehende Busfahrerin tadelte, „fett“ dürfe sie die lenkende Busfahrerin keinesfalls nennen, das sei „persönlich beleidigend“. Ich wunderte mich, wie es jemandem entgehen konnte, dass das Wesen einer Beleidigung exakt und exklusiv im Persönlichen verortet ist und dass die stehende Busfahrerin geradezu von einem vehementen Bedürfnis erfüllt war, ihre Kollegin zu beleidigen, von der sie immerhin soeben als „blöde Funzn“ und „Trampel“ bezeichnet worden war. Wie die Sache weiterging, weiß ich nicht, weil ich aussteigen musste.
Während ich den Mönchsberg erklomm, dachte ich darüber nach, wieso es kaum Aufregung verursacht, wenn jemand einen anderen einen Trottel nennt, während der Zuruf „Fette Sau!“ bei allen in Hörweite befindlichen Menschen Pogromstimmung aufkommen lässt, egal ob sie selbst dick oder dünn sind. Dabei hat ein Dummkopf seine Dummheit ja nicht beim Universum bestellt, sondern sie wurde ihm sozusagen aufgetischt. Dummheit ist angeboren; es ist daher schäbig, sie jemandem vorzuwerfen – man macht sich ja auch nicht über Behinderte lustig. Der fette Mitmensch hingegen hätte mal besser weniger gefressen. Von krankheitsbedingten Ausnahmen abgesehen ist der durchschnittliche Fettsack für seine Speckrollen selbst verantwortlich, und sie ihm vorzuwerfen ist zwar hässlich, aber immerhin weniger ungerecht, als einem Idioten seine Idiotie vorzuwerfen.
Über den Sonderfall des fetten Idioten werde ich gesondert berichten.
Der Mensch braucht Vorurteile, sonst stünde er angesichts der Fülle von Informationen, die uns wie Viren und Bakterien allerorts belauern und in ihrem Streben nach Verbreitung teils aggressiv um unsere Aufmerksamkeit buhlen, ohne jede Arbeitshypothese da.
Vor ein paar Jahren gebar ich die esoterische Vorstellung, jede einzelne Lüge, die ein Mensch in die Welt bringe, würde ihn bzw. sein Gesicht bald darauf zur Strafe irreversibel mit einer zusätzlichen Falte um die Lippen zeichnen. An diese Theorie musste ich denken, als ich mich eines Abends mit einer schönen Frau zum Essen traf, an der mir rasch ein verhärmter Zug um den Mund auffiel, der von Stunde zu Stunde noch bitterer zu werden schien. Als Realist folgerte ich, dass ich ihr eben unsympathisch war. Was mich durchaus auf Gegenseitigkeit beruhte. Doch als sie zur Toilette musste, fragte sie mich freundlich, ob ich mitkommen wollte. Ich wollte. Ich kam. Zurück am Tisch, setzte sie ihren Monolog nahtlos fort, ohne unseren Abstecher auch nur einmal zu erwähnen. Bald sah sie noch verbitterter aus. Ich begann nachzudenken, ob es vielleicht angebracht wäre, meine Depressionen gegen Komplexe einzutauschen.
Ich habe nie ganz verstanden, wie sich zwei Menschen, die einander im Grunde sehr unsympathisch waren, so sehr lieben konnten wie sie und ich. Spät, aber doch habe ich aber immerhin verstanden, was es mit ihrer finsteren Miene auf sich hatte: Sie litt an einer stark ausgeprägten Form von pseudologia phantastica, zu Deutsch Lügensucht, was für den Partner ungefähr so reizvoll ist wie eine Tourette-Erkrankung. Sie selbst hat ihre Lügen gehasst und zugleich für wahr gehalten. Obwohl sie sie jeden Tag im Spiegel betrachtet hat, hat sie sie nicht gesehen.
Tja, und seither frage ich mich vor dem Badezimmerspiegel oft: Was sehe ich nicht?
Die Nachtwächterei im „Seehof“ ist die natürlichste Berufswahl für einen wie mich, der sowieso von Anfang an nicht gut schlafen konnte, aber gute Küche immer zu schätzen wusste. Schlaf ist in meinem Fall zudem mit einem Aufenthalt in Guantanamo zu vergleichen. Was sich in meinen Träumen abspielt, ist nicht zu beschreiben.
Falls es stimmt, dass das Traum-Ich ein ebenso reales ist wie das bewusste Ich, hat bei der Entstehung meiner Nachtwelt ein ganzes Rudel durchgeknallter Dämonen seine pelzigen Pfoten im Spiel gehabt, sekundiert von zahlreichen Sirenen und Sukkuben, und schlecht zusammengeleimt hat das Ganze der junge David Lynch, angefeuert von einem Hieronymus Bosch auf härtestem Tollkirschenentzug.
Es versteht sich daher von selbst, dass ich dem Schlaf keine großen Privilegien in meinem Leben einräume. Wie gefährlich Schlafen ist, erkennt man daran, wie viele Abermillionen von Menschen im eigenen Bett sterben, wohlig in ein Deckchen gehüllt, und beim Aufwachen schauen, wo sie bleiben können. Die Menschen fürchten Herzinfarkte und Krebs, Ebola und AIDS, aber sie überqueren in aller Seelenruhe stark befahrene Straßen und legen sich zuhause furchtlos ins Bett, obwohl schon die berühmten Verse Brentanos bei aufgeweckten Heranwachsenden alle Alarmglocken läuten lassen müssten:
Guten Abend, gute Nacht,
Mit Rosen bedacht,
Mit Näglein besteckt,
Schlupf’ unter die Deck’,
Morgen früh, wenns Gott will,
wirst du wieder geweckt.
Man weiß ja gar nicht, wo man anfangen soll mit bissigen Bemerkungen.
Als meine Schicht zu Ende ist, kommen die ersten Gäste zum Frühstück. Ich ziehe mich in meine Gemächer zurück, wo mein schurkisches Bett steht.
Ich bin entsetzlich müde. So müde, dass ich mir einen Ruck gebe, mich hinlege und vor mir selbst so tue, als würde ich nicht einschlafen. Bin gespannt, wie lange das gutgeht. Irgendwann werde ich mir selbst unweigerlich auf die Schliche kommen und herausfinden, dass ich immer nur so tue, als würde ich schlafen. Bin schon neugierig, was ich dann sagen werde.
Dem Volksmund haben wir das Sprichwort zu verdanken, man sei so alt, wie man sich fühle, und wie das meiste je vom Volksmund Hervorgebrachte ist dieser Satz ein Beleg dafür, dass der Volksmund das Organ eines schlichten Geistes ist und man froh sein muss, dass es keine Volksnase gibt und keine Volksohren und keine Volksaugen. Die Vorstellung, was die verschiedenen Volksorgane riechen, hören und sehen könnten, versorgt mich mit Visionen, die selbst Hieronymus Bosch Kopfschmerzen bereitet hätten.
Wie alt man sich fühlt, hängt im Laufe der Zeit immer mehr davon ab, wie lange man sich jung gefühlt hat. Je länger man sich jung fühlt, desto länger ist man ein Kindskopf, der gern die Puppen tanzen lässt, was sich früher oder später rächt. Frische Luft ist der Gestank zwischen zwei Gasthäusern, ganz recht, aber wer sich zu lange zu jung fühlt, wird sich zu jung zu alt fühlen, und man könnte sagen, so mancher Dauerinsasse von Gastronomieheilstätten überspringt seine mittleren Jahre und rauscht von der Jugend über die Nachjugend (Studentenalter) direkt ins Voralter, also jenen Lebensabschnitt, in dem der ehemalige Student Emeritus wird und bei der Abschiedsfeier mit seinen Plänen, der Lehre erhalten zu bleiben, ein Büro zu beanspruchen und Unschuldige mit seiner letzten und seiner allerletzten und seiner allerallerletzten Vorlesung zu quälen, die ganze Fakultät in Angst und Schrecken versetzt. Für die Jahre dazwischen existiert keine zufriedenstellende Bezeichnung, von vereinzelten Ausnahmen wie „MILF“ abgesehen.
Die Meisten von uns unterscheiden nur zwischen jung oder alt. Um etwas Spielraum für Nuancierungen zu haben, haben wir diese Skala zusätzlich mit den Worten „jünger“ und „älter“ ausgestattet, freilich ohne zu bemerken, dass diese Begriffe umgangssprachlich auch ihr Gegenteil bedeuten können.
„Karl ist noch jünger“ verweist tatsächlich auf einen später als eine aus dem Kontext ersichtliche Referenzperson geborenen Mann (oder z.B. Pudel), wenn in diesem Satz das „noch“ betont wird. Wird jedoch dem Wort “jünger“ die Betonung zuteil, wollen wir ausdrücken, dass Karl schon ein bisschen älter ist als ein junger Mann, sagen wir zwischen 35 und 55, obwohl ich mich da nicht festlegen will.
„Anna ist schon älter“ kann verdammt viel heißen, aber das wissen Sie bestimmt. Im Regelfall bezieht sich dieser Satz auf eine Frau, die ihren Jugendjahren entwachsen ist, aber mit einiger Wahrscheinlichkeit jünger ist als jener Mann (Pudel), über den es heißt, er sei noch jünger.
Dass „älter“ der Komparativ von „alt“ ist, wird niemand bestreiten wollen, aber umgekehrt stimmt’s auch. Deshalb wäre es eine fiese Qualifikationsfrage für die Kandidaten, die es bei der Millionenshow in die Mitte schaffen wollen: „Ordnen Sie diese Begriffe chronologisch: jung, jünger, älter, alt.“
Als Nachtportier hat man keine Gelegenheit, Zeitung zu lesen oder fernzusehen, weil man ständig auf der Hut sein muss, ob nicht irgendwo Gesindel auftaucht, das die Gäste berauben will. Insofern ist es nicht ungewöhnlich, dass ich erst vor ein paar Tagen von den Nationalratswahlen erfuhr, die in Österreich anstehen. Kurioserweise während eines Fortbildungslehrgangs für Nachtwächter in Washington, DC, beim Surfen auf heimischen Webseiten.
In Österreich sind Urnengänge (wem ist bloß dieses Wort eingefallen?) weit weniger unterhaltsam als in den USA. In Österreich herrscht gegenwärtig die Regel, dass eine Wahl ausgerechnet derjenige gewinnt, der die meisten Stimmen bekommen hat, das ist ziemlich humorlos. Außerdem gilt ein Politiker, der nachgewiesenermaßen bereits Sex ohne Zeugungsabsicht hatte (z. B, im Rahmen von Oral‑, Anal- bzw. Kondomverkehr), in Amerika als unrettbar pervers, bei uns hingegen wird über solche Schwächen großzügig hinweggesehen. In Amerika muss ein Politiker ein bigotter verlogener Heuchler sein, bei uns darf er das zwar auch, aber er muss nicht unbedingt. In Österreich gibt es ein paar Politiker, die einräumen, Menschen zu sein, mit allen Stärken und Schwächen, die diese Existenzform mit sich bringt. In Amerika wäre so etwas undenkbar, dort haben sie Übermenschen zu sein.
Ich persönlich will von Menschen regiert werden, nicht von Heiligen, erstens aus praktischen Erwägungen, denn es ist fraglich, welche Lösungen konkreter Probleme ein Heiliger anzubieten hätte, und zweitens, weil es keine Heiligen gibt, ausnahmslos alle Heiligen waren und sind scheinheilig. Und wenn die Selbstdarstellung eines Politikers an die Authentizitätsliteratur der siebziger Jahre erinnert, werde ich ihn sowieso nicht wählen.
Autobiographische Literatur war mir schon immer suspekt. Wenn ein Dichter aus seinem Leben erzählt, gewinnt man schnell den Eindruck, diese Person hätte über sich selbst hinaus nichts mitzuteilen und sei in Wahrheit nichts weiter als ihr eigener Spiegel. Ein Schriftsteller muss größer sein als er selbst, sonst ist er keiner. Wer über sich selbst nur wacht, anstatt sich aufs Spiel zu setzen, mag vielleicht wie ein Schriftsteller klingen, aber er wird nie einer sein, solange er sich der fundamentalen Erkenntnis verschließt, dass nur ein Leben, das nie zuvor gelebt wurde, all die Mühe wert ist, die das Schreiben eines Romans oder das Aufstehen am Morgen kostet. Ein Zirkusartist interessiert uns in Wahrheit nur dann, wenn er ohne Netz arbeitet.
Wenn jemand bei der Ausübung seiner Passion nicht alles verlieren kann, haben wir keinen Grund, ihm zuzusehen.
Natürlich schauen wir uns den Abfahrtslauf von Kitzbühel und das Formel 1‑Rennen in Monza vor allem deswegen an, weil es gefährlich ist. Was für großartige Ski- und Autofahrer sich da miteinander messen, wird über das Fernsehen kaum transportiert, und am Ende bleibt als Faszinosum nur der potentielle Misserfolg – im äußersten Fall der Tod. Ein Künstler muss seine Zeit nicht bloß verstehen, er muss sie sein. Er darf bei ihr nicht nur zu Gast sein, er muss in ihr zuhause sein, nur dann kann ihm etwas Gutes gelingen. Bei Politikern ist das ähnlich. Und ähnlich selten. Und weil Sepp Schellhorn zu diesen raren Vögeln gehört, werde ich ihn am Sonntag nicht nur wählen, ich werde für ihn auch die Bundeshymne anstimmen, sobald ich ihn sehe. Am besten machen wir das alle. Und zwar von heute an immer. Statt ihn mit einem umstandslosen Hallo! zu begrüßen, singen wir die ersten Töne der Bundeshymne. Wir alle. Für immer. Na, sagen wir fünf Jahre lang. Der wird eine Freude haben.
Ich mag kuriose Dinge, Alltag hat mich nie gereizt. Man möchte meinen, das geht uns allen so, aber es gibt eine Vielzahl von Mitmenschen, denen der Alltag der sicherste und schönste Zeitort zum Verweilen ist, und besonders schätzen sie es, wenn sie Langeweile überkommt, denn diese bietet reichlich Gelegenheit, sich etwas auszudenken, worüber sie sich empören können.
Vom Fluch der Phantasie verschont Gebliebene greifen auf den Benzinpreis oder die EU zurück, die Kreativeren dagegen brüten so lange, bis sie etwas gefunden haben, das a) das Potenzial hat, eine direkte Konfrontation mit einer anwesenden Person heraufzubeschwören und b) sie selbst gegenüber dieser eine moralisch überlegene Position einnehmen zu lassen vermag. Ich weiß nicht, ob die Musik eine Brüll-Elegie kennt, aber sollte Österreich einer neuen Bundeshymne bedürfen, würde ich den Verantwortlichen raten, einen Fachmann der Brüll-Elegie mit der Komposition zu beauftragen.
Wenn man beim Wohnen betreut wird, was zumindest in den ersten Lebensjahren gute Sitte ist, seit Babys nur noch unter besonders schlimmen Umständen in Strohkörben den Launen eines Flusses ausgesetzt werden, hat man gerade als Heranwachsender in der Regel viel Zeit für Detailbeobachtungen der Wirklichkeit, weil einem die ernüchternden und zeitraubenden Verpflichtungen des Alltags vorerst erspart bleiben. Da mir die physische Welt als Kind weniger kurios als vielmehr unlogisch, widersprüchlich, undurchschaubar und bedrohlich erschien und in mir nicht so sehr Neugier als vielmehr Fluchtreflexe weckte, waren die ersten echten Kuriositäten, für die ich mich als Kind interessierte, Wörter, weil sie beinahe allmächtig sind.
An manchen Tagen beschäftigte ich mich vorwiegend mit der Bedeutung, an anderen dachte ich stundenlang über die Melodie eines Wortes nach. Am verrücktesten wurde dieses Spiel, wenn man sich auf beides zugleich konzentrierte. Der gesellschaftliche Konsens, eine bestimmte Abfolge von Lauten sei die akustische Entsprechung eines bestimmten abstrakten oder konkreten Gegenstandes, ein H‑A-U‑S sei zum Wohnen da, ein B‑E-T‑T zum Schlafen, ein P‑E-N-I‑S zum Spielen, ein A‑R-Z‑T zum Heilen, erschien mir von Minute zu Minute immer unpassender, unglaubwürdiger und unstimmiger.
Damals erkannte ich, dass es nur wenige Wörter gibt, die sich früher oder später nicht seltsam, ja falsch anhören. Egal, um welches Wort es sich handelt, wenn man es ein paar Mal hintereinander ausspricht und seinem Klang lauscht, wird es irgendwann leer.
In den Nachtstunden, während ich den Schlaf der Hausgäste bewache, spiele ich mit Wörtern. Manche mag ich mehr, manche weniger, und ich amüsiere mich über die Assoziationen, mit denen mich mein Unterbewusstsein unterhält.
Seehof ist ein Wort, das ich besonders mag. Woher stammt es eigentlich? Heißt es so, weil der Gasthof nahe am See gebaut wurde? Oder – befindet sich womöglich ein vor Jahrhunderten untergegangener Gutshof im See?
Das Atlantis von Goldegg? Ja, das klingt gut. Wer taucht mit?
Zu den wenigen positiven Aspekten meiner Depression zähle ich meine neuerworbene Unfähigkeit, Fernsehapparate zu erkennen. Das ist gut, denn das Maß an Blödsinn, das im Fernsehen unschuldigen Menschen als Wirklichkeit präsentiert wird, ist weit höher als das ehrlicher Versuche, dem Zuschauer wenigstens einen oder zwei intelligente Gedanken oder etwas Inspiration zu vermitteln.
Wenn Gerüchte über eine Qualitätssendung bis zu mir dringen (und ein Nachtportier hört so manches), überprüfe ich sie per Notebook und Internet auf ihre intellektuelle Redlichkeit. Computerbildschirme scheinen zum Glück gegen den Erreger der Fernseherblindheit immun zu sein, zumindest wenn sie vor meiner Nase stehen. Das ist deswegen wichtig, weil ich, während ich als Nachtportier die Gäste bewache, nebenbei am Computer die Welt besser zu machen versuche, und es würde beide Arbeiten, die Wache und die Weltverbesserung, um einiges erschweren, wenn ich dabei den Bildschirm nicht sehen könnte. Ich habe einmal versucht, auf einem in meiner Manteltasche steckenden Handy eine SMS zu schreiben, und das Ergebnis war so niederschmetternd, dass ich nicht darüber reden will, es sei nur erwähnt, dass der Adressat mit mir nicht mehr reden will.
Es gibt bekanntlich sechs Arten des betreuten Wohnens: Hotel, Altersheim, Krankenhaus, Friedhof, Gefängnis und Seehof. Mehr als die Hälfte davon kenne ich aus eigener Erfahrung. Es ist natürlich heikel, dem Seehof eine eigene Kategorie zuzumessen, besonders in so einem Zusammenhang, weil man mit den übrigen fünf Orten wenig Lebenszuversicht assoziiert, während der Seehof auf der Lebensbejahungsskala die Höchstnote verdient. Es gibt nur einen Seehof, wird man zudem einwenden, und das stimmt, doch wenn der Name als Chiffre verwendet wird, darf man schon einmal übertreiben und von der theoretischen Existenz mehrerer Seehöfe sprechen. Auf der ganzen Welt, nicht in Österreich.
Um die Welt zu verbessern, bedarf es weiterer Seehöfe, darüber sind wir uns einig. Als betriebsinterner Schulungsleiter im Bereich Bitcoin und Blockchain-Technologie werde ich gelegentlich von meinem altruistischen Dienstherrn zur Weltverbesserung eingesetzt, eine Disziplin, ich der ich traditionell manchmal mehr und manchmal weniger erfolgreich bin, was mich nicht mehr wundert, seit ich dahintergekommen bin, dass die Welt nicht nur aus dem vierten Wiener Gemeindebezirk und seiner Umgebung besteht und es jenseits seiner Grenzen größere Probleme gibt als innerhalb.
1,7 Milliarden Menschen auf der Welt haben keinen Bankzugang. Das schützt zwar vor Überziehungszinsen, verhindert aber auch jede wirtschaftliche Entwicklung, und folgerichtig zählen diese 1,7 Milliarden zu den ärmsten Menschen der Welt. Wenn ein Migrant von den USA Geld an seine Familie in Mexiko, Kolumbien oder Burkina Faso schicken will, kann er nicht einfach zur Bank gehen wie unsereins. Er muss die Dienste von Institutionen wie Western Union in Anspruch nehmen, und da sind je nach Aufenthaltsort und Dringlichkeit 10% als Provision für den Dienstleister eine Seltenheit. Meistens liegt sie nämlich höher. Manchmal ist die Scheibe, die sich der an vielen Ort Monopolstatus genießende Geldtransfer-Anbieter abschneidet, gleich der halbe Kuchen. Auf die andere Hälfte wartet die Familie einige Tage, fallweise länger. Das bedeutet: In Österreich arbeitet man zur Hälfte für den Staat und seine Institutionen, in räuberischen Zivilisationen wie den USA und anderen Entwicklungsländern hat man zusätzlich noch eine exorbitante Zwangsabgabe für den Finanz-Wegelagerer zu verschmerzen.
Das könnte sich bald ändern.
Die meisten dieser 1,7 Milliarden Menschen ohne Bankkonto haben ein Smartphone oder zumindest Zugang zu einem solchen. Auf einem Smartphone ist ein Wallet, eine elektronische Geldbörse für Kryptowährungen wie Bitcoin, binnen einer Minute installiert. Was nun, schätzen Sie, kostet ein Geldtransfer mit einer Kryptowährung wie zum Beispiel NANO oder EOS, und wie viel Zeit vergeht, bis der Empfänger das Geld hat?
Antwort: minimale oder keine Gebühren, eine Sekunde oder schneller.
Es verwundert nicht, dass die Finanzwelt mit allen Mitteln bemüht ist, digitale Währungen schlecht zu machen und den Bitcoin-Preis zu drücken, um selbst billig einzukaufen. An Demokratisierung und Evolution auf dem Sektor des Geldes haben diejenigen das geringste Interesse, die es schon haben. Ich denke, die Chancen stehen nicht schlecht, dass sie diesen Kampf verlieren werden. Der Bitcoin wird maßgeblich dazu beitragen, auch in den ärmsten Ländern Seehofpotential zu erzeugen. Hätte ich viel Geld, würde ich Bitcoins kaufen. Am liebsten 2010. Da kostete einer 6 Cent. Derzeit sind es 10.000 Dollar.
„Wetten ist etwas für Knechte“, sagte meine Urgroßmutter, wenn ihr eine Wette angetragen wurde, was sie heute so nicht mehr sagen würde. Nicht nur wegen ihres von mir von Jahr zu Jahr nicht minder betrauerten Ablebens vor fast dreißig Jahren, sondern weil man Angehörige niederen Standes heutzutage nicht mehr diskriminieren darf, und der pejorative Charakter ihrer Bemerkung ist nicht zu leugnen. Andererseits, wenn jemand behauptet, man diskriminiere mit diesem Satz die Knechte, da ja Knechte einem niederen Stand angehörten, diskriminiert er durch die Behauptung, Knechte gehörten einem niederen Stand an, den Knecht als solchen, weil er ihn als von niederem Stand bezeichnet, was zweifellos eine diskriminierende Bemerkung ist. Manchmal gibt es keinen Satz, den man überall sagen darf.
Nein: Es gibt gar keinen Satz, den man immer und überall sagen darf.
Aus diesem Grund gehe ich doch eher davon aus, dass meine Urgroßmutter, die 1917 als Serviermädchen im Festsaal irgendeines improvisierten Feldschlosses den Kaiser Karl betrunken auf dem Boden schlummernd angetroffen hatte und Diskriminierungen aus ihrer Jugend und ihren zwei Weltkriegen, die sie beide verlor, gewohnt war, auch heute noch die Faszination des Wettens dem niederen Stand der Knechte zuschreiben würde, um sich a) von ihnen abzugrenzen und b) dem Fragesteller durch die Blume mitzuteilen, dass er ihr mit oder ohne Wette auf die Nerven ging. Sie lehnte es ab zu wetten, und hätte ich sie mir in dieser Angelegenheit zum Vorbild genommen, mir und der restlichen Welt wäre einiges erspart geblieben.
Einige Jahre vor meiner Erhebung in den Stand des Einzig Wahren Nachtwächters wurde ich im Seehof wieder einmal eine Woche lang beim Wohnen betreut. Eines kühlen Frühlingsabends übertrug das Fernsehen eine multinationale Show, bei der die Kandidaten den Begriff „Bassstimme“ mimisch darstellen sollten. Leichthin sagte ich, wenn die österreichische Personalie gewinnen würde, spränge ich noch in derselben Nacht nackt in den eisigen See. Die österreichische Personalie gewann. Johlenden Kobolden gleich zog ein Trupp hämischer Spötter mit mir zum See. Ich entkleidete mich und sprang, und das Wasser war kalt, so kalt, dass mir heute noch kalt ist. Meine Flucht aus dem See wurde vom einem Dutzend Mobiltelefonen dokumentiert, auf den Bildern sehe ich aus wie ein frisch geschlüpfter Waran.
Ein einziger beteiligte sich nicht an dem digitalen Gemetzel: Mein Wohnbetreuer resp. Wirt bzw. nunmehriger Dienstherr Sepp Schellhorn. Erst argwöhnte ich ja, er hätte sein Handy vergessen, doch dann zog er Hemd und Hose aus, womit er noch immer mehr anhatte als ich, und sprang auch in den See, dem er kurz danach unter großem Applaus der Zuschauer auf elegantere Weise als ich entstieg. Ihre Fragen nach seinen Motiven beantwortete er beiläufig mit: “Man darf nie einen allein springen lassen.“
Wenn mich einmal jemand nach einem Leumundszeugnis für Pepsch fragt, werde ich ihm diese Geschichte erzählen. Wenn Susi daraufhin Bundeskanzlerin wird, wird sich das Ehepaar Schellhorn gezwungen sehen, seinen Lebensmittelpunkt nach Wien zu verlegen, und ich wette, es ist der Nachtwächter, der dann zum Statthalter des Seehofs ernannt wird.
Es gibt eine Konstante, die sich durch die Geschichte der Menschheit zieht: Manchmal wollen wir jemand anderer sein. Das bedeutet nicht zwingend, dass wir mit uns unzufrieden sind, wir wollen bloß nicht immer dasselbe Gesicht im Spiegel sehen.
Um jemand anderer zu sein, bedarf es keines Seelentransporters, der unser unsterbliches Innerstes zeitweise in eine andere Körperheimat überstellt. Das wäre erstens ungeheuer aufwändig, zweitens zum Verrücktwerden kompliziert, drittens ziemlich gefährlich, und viertens gibt es so ein Gerät gar nicht. Schlechte Nachrichten also, doch Menschen sind erfinderisch. Um Abwechslung vom Ich herbeizuführen, das wussten sie schon vor Jahrtausenden, braucht unsere Spezies Essen, Trinken, Biochemie, Sex oder einen Fernseher. Vor Jahrtausenden waren erst wenige Fernseher verfügbar, zudem waren die Menschen noch hässlicher als heute, weswegen Sex nicht sehr beliebt war. Bei Alternatividentitätsbedarf aß oder trank man daher magische Spezialitäten, die dafür sorgten, dass man ein anderer wurde, und damit meine ich kein Salmonellen-Tiramisu, sondern Bier und Fliegenpilze.
Heute ist alles ein bisschen anders. Staaten haben sich angewöhnt, ihre Bürger zu überwachen, zu entmündigen, zu bevormunden und faktisch zu besachwaltern, als wäre der Einzelne kein Individuum, sondern ein berechenbares, normiertes Konstrukt. Aus wirtschaftlichen Gründen hat sich der Alkohol als Berauschungsmittel für dieses Konstrukt in unseren Breiten durchgesetzt. In kleinen Mengen wirkt Alkohol stimmungsaufhellend, aber wer kleine Mengen Alkohol zu sich nehmen und es dabei belassen kann, mit dem stimmt sowieso etwas Gravierendes nicht. Chronischer Alkoholabusus leistet Depressionen Vorschub. Als Rauschmonopolist ist Alkohol daher denkbar ungeeignet.
Früher war man bedrückt, heute ist man depressiv. Die Ursachen sind unterschiedlich. Die einen wissen nicht, wie man richtig fickt, die anderen haben vergessen, wo der Fernseher steht, und wer noch nie im Seehof war, dem fehlen wesentliche Referenzwerte für gutes Essen und Trinken.
Was also tun gegen die düstere Grundstimmung, wenn sie sich einschleicht? Ich wollte neulich die alten Zeiten wiederaufleben lassen, in denen unsere Urahnen vor ihren Hütten mit dem Ortsschamanen tanzten, Gruppensexorgien veranstalteten und die Tiefentraurigkeit mit feurigem Leben ausbrannten. Als ich mich anschickte, mit konvulsivischen Zuckungen den zunehmend zur Trägheit tendierenden Herrn Schellhorn auf der Straße vor dem Seehof zu einem spontanen Tanz zu motivieren, versammelte sich sogleich um uns eine Gruppe Schaulustiger, in denen ich zunächst gruppensexwillige Ortsbewohner vermutete, was sich rasch als Missverständnis erweisen sollte. Ich möchte nicht sagen, welche peinliche Wendung der Nachmittag nahm, jedenfalls handelte es sich um ehrbare alteingesessene Goldegger, bei denen mein progressiver Zugang zum Thema Tanz und Sexualität erheblichen Widerspruchsgeist zu Tage förderte.
Vermutlich hätte die Sache unterm Strich ohnehin nichts besser gemacht. Antidepressiva helfen gegen Depressionen nicht, zumindest bei mir nicht. Gegen Depressionen hilft nur Rick & Morty. Rick & Morty wird getragen vom optimistischen Nihilismus des versoffenen Wissenschaftlers Rick Sanchez, der das intelligenteste Wesen im Universum ist und schon mal den Teufel zu einem Selbstmordversuch treibt. Diese Cartoon-Serie ist tausendmal besser als die Simpsons, deren nerdiges Understatement recht schnell zur Pose wird. Es ist die herzerwärmendste, schlaueste und lustigste Fernsehserie, die es gibt. Bis zur nächsten Kolumne muss jeder der depressiven Leser die erste Staffel gesehen haben. Prüfungsstoff!
Die Bibliothek des Seehof lässt keinen Wunsch offen, abgesehen von einem bescheidenen, nämlich dem nach etwas weniger Suhrkamp-Büchern in den Regalen. Das Leben ist schon hart genug, da muss man nicht auch noch mit Anlauf jenem allumfassenden Gefühl von Verzweiflung ins Maul springen, das allerspätestens auf der letzten Seite von so manchem Suhrkamp-Roman uns Leser erwartet. Wir lesen die letzten Zeilen und stutzen. Wir lesen sie noch einmal. Wir blättern vor und zurück. Irgendwann ist der Verdacht so greifbar, dass er ausgesprochen werden muss:
Da will uns jemand verarschen.
Mein Vater hat es in solchen Fällen leichter. Wenn in einem der Bücher, die er liest, der Schluss keinen Sinn ergibt, kann er sich leicht ausrechnen, dass es zuvor mir in die Hände gefallen und aus niedrigen Motiven (Schadenfreude u.a.) mit grober Gewalt seiner letzten Seiten beraubt worden ist.
Der Suhrkamp-Verlag hat natürlich auch viele Meisterwerke veröffentlicht, das steht außer Streit. Trotzdem, wenn ich etwa an Hermann Hesse denke, sehe ich immer eine Domina vor mir, die peitschenknallend ein nacktes blasses Männchen dazu zwingt, abwechselnd die Absätze der High Heels der Dominas abzulecken und ein paar Absätze von „Unterm Rad“ zu lesen.
Dem Gedanken der Selbstgeißelung konnte ich nie viel abgewinnen. Wenn sich jemand selbst erniedrigt in der Hoffnung, deswegen von anderen, sei es Gott, seien es seine Mitmenschen, erhöht zu werden, kann man mit fast hundertprozentiger Sicherheit davon ausgehen, dass man auf einen Arsch gestoßen ist.
Die Jüngeren unter meiner Leserschaft seien gewarnt: Wenn ihr einmal Zeuge werdet, wie Töchter und Söhne der heimischen Scholle eine Osterprozession veranstalten, bei der einer ein Kreuz schleppt und sich peitschen und mit Dornenkrönchen schmücken lässt, oder wenn ihr erlebt, wie sich Schiiten mit Schwertern den eigenen Schädel blutig schlagen, erinnert euch, ihr kennt solche Leute aus eurer Schulzeit. Es sind die, die nach jeder Schularbeit jammerten, sie hätten sie ganz sicher vergeigt, und die dann mit gespieltem Erstaunen ihre 1 entgegennehmen durften. Noch jeder religiöse Fanatiker war ein Heuchler, und noch jeder Heuchler hat einst in der Schule behauptet, er hätte nichts gelernt und wisse nicht, wie ihm diese 1 zugelaufen sein könnte. Auch zu meiner Zeit gab es sie. Wenn einer von denen heute zufällig meinen Weg kreuzen würde, ein Kreuz schleppend, jammernd und klagend, würde ich christliche Nächstenliebe beweisen und mich sofort auf die Suche nach einem Handwerker machen, um eine Kiste Ersatznägel zu kaufen – die dürften ihnen nicht ausgehen, das wäre schrecklich.
In der Nacht funktioniert die äußere Klimaanlage des Seehofs besser als tagsüber, aber als Nachtportier – ich bevorzuge eigentlich das martialischere „Nachtwächter“, das Bewaffnung und Gefahr in geistige Griffweite rückt – habe ich mich mit der Hitze des Tages ohnehin nicht auseinanderzusetzen, so wie man sich in Goldegg nicht um das kümmern muss, was andere Menschen als Alltag bezeichnen, obwohl es für keine zwei Menschen auf der Welt eine idente Tagesabfolge gibt.
Der Gott unseres Universums mag zwar ein Ferialpraktikant sein, aber so einfallslos war er dann auch nicht, er lässt jeden Menschen seinen persönlichen Lebensfilm drehen. Das liegt ja auch in seinem ureigenen Interesse, zumal für Götter fatalerweise die Begriffe immer und jetzt Synonyme sind, worüber sich den Aufzeichnungen meines Vorgängers als Einzig Wahrer Nachtwächter zufolge auch regelmäßig Götter bei ihm beschwert haben. Mein Vorgänger dürfte einen kommunikationsreichen Lebensabend gehabt haben, jede Nacht kam ihn durch den Riss im Universum, der unter dem Seehof klafft, ein anderer Gott besuchen. Auf den Seehof aufgepasst kann er da nicht viel haben bei solcher Ablenkung. Aber man muss so einen Gott auch verstehen. Und so wie sich Gott, wenn ihm langweilig ist, den frisch gelieferten Lebensfilm eines jüngst verstorbenen Menschen ansieht (alternativ zum tausendsten Mal Kennedy, wenn ihm wieder einmal irgendeine Sünde eines Menschen den Tag verhagelt hat, oder eine seiner geliebten Serien, z.B: Putin, wenn er gerade besonders unter seinen Komplexen leidet, weil er aussieht wie wir), so leben wir Menschen irgendwann mehr mit den Leben der Jüngeren mit.
Dieser Sommer ist nicht mehr mein Sommer, das spüre ich, wir sind uns gegenseitig nicht so wichtig, Abgeklärtheit bestimmt die Positionen. Es stimmt, meine Interessen wandeln sich gerade. Essen ist der Sex des Alters, sagen Sepp Schellhorns Blicke, wenn ich schon am Nachmittag um meinen Stammtisch herumschleiche oder vor der Küche mit den Füßen scharre. Er behauptet, er hätte ein Schreiben der Gemeinde erhalten, das es ihm verbiete, mir mehr als zwei Nachspeisen auszufolgen. Tatsache ist, dass aufgrund des geringeren Luftdrucks in der Höhe von Goldegg einige meiner Kleidungsstücke eingegangen sind, was aber angeblich die Gemeinde anders interpretiert. Man will bei mir eine Gewichtszunahme bemerkt haben, die eindeutig der hohen Qualität der Seehofschen Küche bzw. meiner Fressgier geschuldet sei. Im Sommer wäre das noch kein Problem, aber wenn ich im Winter aus allen Nähten platzen würde und Einsteigdieben im Fall des Falles hinterherrollen müsste, würde die Lawinengefahr in Schwarzach drastisch erhöht. Der dortige Ortsvorsteher sei bereits besorgt usw. Ja, ja, sagen meine Zurückblicke, du mich auch.
Vieles wird einem mit zunehmendem Alter abgenommen. Das schließt aber auch die Fehler ein. In Goldegg kann man weniger Fehler machen. Das ist für einen Risikomenschen nicht der schlechteste Aufenthaltsort. Apropos: Ich brauche nicht einmal mit einer Frau auf Urlaub zu fahren, das erledigt mein Sohn für mich. Er besucht seine Freundin in Griechenland. Er ist zum ersten Mal allein im Ausland, und ich bin froh, dass er jetzt an der Reihe ist und nicht ich all die schönen Dinge, die man da erlebt, noch einmal zum ersten Mal machen muss. Ich bewache den Seehof, lasse nicht die geringste Spitzbüberei zu, und die Welt nimmt woanders ihren Lauf. Woanders wird man, im Seehof ist man. Auch in Goldegg ist nämlich immer jetzt.
„Das gute Leben“ heißt das Festival, das Sepp Schellhorn organisiert und zu dem ich noch nie als Gastvortragender eingeladen worden bin. Ich vermute, er vermutet bei mir thematische Inkompetenz. Ein Irrtum, wie er allmählich zu begreifen scheint, seit er morgens die Verwüstung, die sein hungriger Nachtportier nachts in der Küche angerichtet hat inspizieren und meine Hinterlassenschaft fallweise umgehend von sanitären Ordnungshütern beseitigen lassen muss. Anfangs leugnete ich jede Mittäterschaft an dem Exzess, bis mir bewusst wurde, dass ein Nachtwächter, der nicht bemerkt, dass vor seiner Nase ein Mundraub der Extraklasse stattfindet, für seinen Job belegbar unqualifiziert ist.
Vor zwei Wochen entschied ich mich für einen Strategiewechsel. Menschen, die gutes Essen zu schätzen wissen, sind bekanntlich auf dem Gebiet des glücklichen Lebens Erstligaprofis, und deshalb versuche ich nun meinen Chef durch von Faktenwissen untermauerte, fachmännische Analysen seiner von mir in der Nacht unautorisiert konsumierten Haubenküchenprodukte milde zu stimmen. Eine Woche lobte und pries ich ihn, bis er letzten Mittwoch die Schattenseiten einer soeben von mir in den Olymp der Kochkunst erhobenen Pastete leakte:
„Das war Hundsfutter.“
Ich tat so, als hätte er einen Witz gemacht. Er nicht. Als er mich kurz allein ließ, um frische Gäste zu begrüßen, durchsuchte ich den Altmetallcontainer. Der Seehof verwendet, wie ich bestätigen kann, so gut wie keine Konservendosen. Die einzige Ausnahme ist die Hundespeise Chappi.
Ich fühle jedesmal einen Stich, wenn sich Sepp Schellhorn mit ausdrucksloser Miene, hinter der ich zweifelsfrei ein satanisches Grinsen identifiziere, vor Beginn meiner Schicht bei mir erkundigt, ob ich schon zu Abend gegessen hätte oder ob er mir mein Tschappi servieren lassen dürfe. „Mit T, S, C, H“, fügt er scheinheilig hinzu, womit er zum Ausdruck bringen will, dass er selbstverständlich nichts als das österreichische Dialektwort Tschappi meint, womit in unserem schnitzelförmigen Land jede Art von Nahrung (für Menschen) gemeint ist.
Gestern fiel mir eine vorläufige Einladungsliste für das Festival „Das gute Leben“ in die Hände.
Raten Sie mal.
Was macht ein Nachtportier eigentlich, werde ich in Leserbriefen häufig gefragt.
Nun: Er wacht. Mit Rücksicht auf den etymologisch weniger beschlagenen Teil der Leserschaft ergänze ich: Der Nachtportier bewacht das Haus und seine schlafenden oder noch zechenden Gäste, und diese verantwortungsschwere Aufgabe vollzieht er wach. Hellwach, möchte ich sagen.
Vom Wortstamm „wach“ kann man zahlreiche, zumeist miteinander verwandte Begriffe ableiten: Aufwachen, erwachen, der Wachturm, die Wachstube, der Wachtmeister, das Erwachen (im Sinne der Erweckung).
Ein Missverständnis wäre es, ähnlich klingende Wörter wie „einwaachen“ oder „waach“ hinzuzuzählen. Beide sind dialektaler Herkunft und stammen vom Begriff „weich“ ab. Während das erste einen Arbeitsschritt bei der Zubereitung von Hülsenfrüchten beschreibt und sich in einem anderen Haushaltszusammenhang auf einen Trick gewitzter Hausfrauen bezieht, die vor der Aufgabe stehen, die stark verschmutzten Hemden ihrer zum Rotzlöffel gereiften Leibesfrucht zu reinigen, ist das zweite von derb-ironischem Charakter und als umgangssprachliche Umschreibung künstlich-willentlich herbeigeführter Bewusstseinstrübungen von begrenzter Dauer sowie chronischer Totalumnachtung mit oder ohne Eigenverschulden gebräuchlich.
Es wird jedem einleuchten, dass nicht in jeder Sekunde ge- und bewacht werden kann. Zum einen würde darunter die Aufmerksamkeit des Wachhabenden über kurz oder lang leiden, was schlimmstenfalls ein schweres Unglück nach sich ziehen kann, etwa wenn der erschöpfte Nachtwächter während des Sekundenschlafs einen hartgesottenen Trinker, der als Gast im Hotel abgestiegen ist, für einen Einbrecher hält und dem Flüchtenden in Notwehr einige Granaten aus der Diensthaubitze in den Rücken feuert (im Seehof nie vorgekommen, zumindest in der jüngeren Vergangenheit nicht).
Den Unterschied zwischen „wach“ und „waach“ prägt man sich am leichtesten ein, indem man an Donald Trump denkt. Ein Nachtportier hat während der Abwesenheit von Spitzbuben Zeit, im Internet zu surfen, und so stieß ich neulich auf Donald Trumps Twitter-Botschaft, er könnte Kryptowährungen im Allgemeinen und den Bitcoin im Besonderen nicht leiden, weil der Bitcoin nicht nur eine Gefahr für den Dollar sei, sondern „kriminelle Organisationen“ ihn benützen würden, um schwere Verbrechen zu finanzieren.
Wach klingt das jetzt nicht gerade. Und wenn, dann nur bis zu dem Punkt, an dem Trump zugibt, dass der Bitcoin, der fälschungssicher, inflationsfrei, dezentral und damit nicht manipulierbar ist, eine reale Konkurrenz für den längst nicht mehr an die Goldbestände des Landes gekoppelten, beliebig oft nachgedruckten Dollar darstellt. Zugegeben, alles kann man nicht wissen. Etwa dass die Bitcoin-Blockchain öffentlich ist und jemand, der eine finanziell aufwändige Untat unter Einsatz digitaler Währungen ins Werk setzen möchte, sich eher der Privacy-Coins Monero, ZCash oder Spectrecoin, vielleicht sogar Conceal bedienen wird. Etwas anderes hingegen sollte jeder wissen, sogar US-Präsidenten: Abgesehen davon, dass kriminelle Organisationen auch Teufelswerk wie Telefon und Flugzeuge im Rahmen ihrer Kriminalitätsproduktion verwenden, ist die Währung, die kriminelle Organisationen bei weitem am häufigsten nützen: der US-Dollar.
Unlängst wurde an dieser Stelle erörtert, dass es sich bei der für unseren Planeten und seine weitere Umgebung zuständigen Höheren Macht um einen Ferialpraktikanten der Meistergötter handeln dürfte, da unser Universum die Handschrift eines Lehrlings am Bau oder eines dem Drogenkonsum nicht abgeneigten Jünglings trägt. Die Existenz höher entwickelter Wesen als unser Gott scheint nur höher entwickelten Menschen generell zu behagen, zumal in weiten Teilen der Erde unter Androhung drakonischer Strafen ein aufrechtes Gedankenmoratorium zu diesem Thema besteht, und mit der Ewigkeit wollen es sich gerade die knorrigen Söhne und Töchter der heimischen Scholle sowieso nicht verscherzen. Es zeugt von spiritueller Provinzialität, wenn in heimischen Glaubenszentren, katholische Kirchen genannt, ein wie für einen Faschingsgschnas gekleideter Mann mit salbungsvollen Worten den „Allerhöchsten“ preist. Wer Bud Spencer in Sie nannten ihn Mücke gesehen hat, weiß: „Es gibt immer einen, der stärker ist als du.“
Solche Gedanken schwirren durch meinen Kopf, während ich nach meiner Nachtschicht auf der Veranda des Seehof liege, genauer gesagt auf Sabine, denn ich bin durch die Lektüre der geheimen Tagebücher meiner Vorgänger auf dem Posten des Einzig Wahren Nachtportiers auf die irritierende Tatsache gestoßen, dass noch jeder meiner Vorgänger jedem einzelnen Stuhl im Haus einen männlichen und jedem Liegestuhl einen weiblichen Namen gegeben hat.
Gerade Details wie dieses sind verräterisch: Eine Welt, in der sich solche Gestalten wie Stuhlnamenspaten herumtreiben, kann nur von einem Pubertierenden geschaffen worden sein. Möglicherweise ist speziell die Erde eines seiner Projekte, das einer Beurteilung durch eine höhere Instanz als unseren Gott harrt. Wäre es zu weit gedacht anzunehmen, dass Er bereits im Gottesschuljahr zuvor den Mars verhaut hat und nun beim Betrachten seiner neuesten Kreation zunehmend in Panik gerät?
Die Vermutung des Projektcharakters der Welt stützen Beobachtungen wie Sintfluten, Heuschreckenplagen sowie die unwürdige Travestie des „Allerhöchsten“, vor einem menschlichen Influencer namens Moses einen moralischen Souffleur zu spielen, wobei er sich auch noch als brennender Dornbusch tarnt (diese Verkleidung nährt den Verdacht exzessiven Drogenkonsums). Diesem Schauspiel liegt die verzweifelte Hoffnung zugrunde, durch seinen Hokuspokus und ein angesichts der kolportierten Allmacht des Spenders ziemlich geizig erscheinendes Geschenk von beschrifteten Steinen einen allseits geachteten Anführer namens Moses in seinem Sinne zu indoktrinieren.
Wenn man auf der Veranda liegt, egal ob auf Sabine oder Brunhilde, spürt man deutlich die Energie, die von dem Riss im Universum ausgeht, den einer meiner Vorgänger unter dem Seehof entdeckt hat und durch den seit Anbeginn der Zeit allerhand fremdartige Gedanken, Gefühle, Wesen und Ereignisse in unsere Welt stürzen, während so vieles aus unserer Welt durch ihn in einen anderen Kosmos gelangen. Ich glaube, diesen Riss hat nicht unser Gott zu verantworten. Dieser Riss ist viel älter, und er ist vorsätzlich geschaffen worden. Vielleicht von Gottes Klassenvorstand? Dieser Ort fühlt sich nämlich im Gegensatz zu den meisten anderen auf der Welt so richtig an.
Hier in Goldegg scheint mein Dienstherr, Sepp Schellhorn, gewissermaßen den Geis des Ortes urbar gemacht zu haben, denn nur in ganz seltenen Fällen stoße ich auf die verräterischen Speichelfäden des Volksmunds.
Traditionen sind generell etwas für Idioten oder für Leute, die sich einer Langzeittherapie gegen Demenz unterziehen. Tradition bedeutet: Weil Affe XYZ (Geburtsurkunde, Identitätsnachweis?) der Überlieferung (=Gerücht) nach vor 500 oder 2000 Jahren einen gewaltigen Felsbrocken von jener Klippe (oder der daneben) ins Meer gestoßen hätte, um eine überlegene Feindesarmee durch die 800 Meter hohe Initialwelle eines Megatsunami zu vernichten, marschieren seither einmal im Jahr alle männlichen Ortsbewohner über 18 in vertrottelter Aufmachung durch die Straßen, vielleicht auch mit Stöcken und Trillerpfeifen und neuerdings Taucheranzügen bekleidet. Das nennt man Brauchtum und Tradition. Und wer hütet Brauchtum und Tradition? Der Volksmund natürlich, der Joseph Goebbels der Landwirtschaftskammer.
Der Volksmund hört sich gern selbst reden, auch wenn ihm keiner zuhört. Aber woher stammt er? Wer lud ihn ein? Wer oder was ist der Volksmund überhaupt, und warum stopft man ihn nicht zu und wartet, ob er ein Bauchredner werden kann? Der Volksmund ist das Organ für alle, die nicht selbst denken wollen.
Meiner neuesten Theorie zufolge, die ich den einsamen Stunden meines Wachdienstes im Seehof verdanke, handelt es sich bei dem Volksmund genannten Phänomen um die Summe aller Ängste, Zwänge und Vorurteile jener Leute, die sich niemals den Unterschied zwischen Denken und Schreien gemerkt haben. Wenn Sie einmal im Supermarkt 20 Minuten an der Kasse warten mussten, sind Sie ein Kandidat für einen Antrag auf Frühpension, denn nicht einmal Buddha selbst wäre dieser Situation gewachsen gewesen. Wer bei diesem skrupellosen Zusammenspiel von irrwitzigem Kundengeschwätz und hysterisch-fröhlichen Durchsagen handverlesen blöder Supermarktradiomoderatoren, die die wehrlose Kundschaft über sensationelle Rabatte und biologisch abbaubare Kochrezepte aufklären, und nebenbei vom Wunsche eines Mannes gegenüber seiner Frau erfährt: „Mutti, a Wuascht und a Klopapier brauch ma a no!“, läuft entweder Amok oder beginnt aus dem Mund zu schäumen. An denen, die gelassen warten, bis sie an der Reihe sind, erkennt man Mitmenschen, die ebenfalls von Zeit zu Zeit im Seehof weilen, wo „die Sinne wieder zum Sinne finden“, wie mein Vorgänger als Nachtportier, der Berliner S. Pfäffgen, Im April 1759 ins Haustagebuch schrieb.
Die Seehofschen Gäste sind für gewöhnlich stilvoll und sympathisch weltoffen, und Zwischenfälle wie unlängst, als ein betrunkenes Paar während meiner Dienstzeit an der Nachtrezeption miteinander in Streit geriet, sind absolute Ausnahmen.
Die Frau hatte mich erkannt und ließ mich wissen, dass Google bei abgeschaltetem Safesearch-Filter neue Pornovideos meiner Freundin und mir anzeige. Der Mann glaubte aus ihrer Bemerkung Wohlwollen herauszuhören, was ihm nicht passte, was ich ganz gut nachvollziehen kann. Leider wollte ich die Lage durch einen Witz lösen, der mir jedoch nicht gelang, weil ich mich plötzlich wieder an alles erinnerte, was mein Leben seit drei Jahren belastet: dass meine Freundin nach einem WOMAN-Artikel über unsere geleakten Fotos und Videos ihren Job verloren hatte, dass Herr Müllner, ihr in sie verliebter Doktorvater, der sie schon lange bei jeder Gelegenheit mit Sexfotos von sich selbst bedrängt hatte, die Gelegenheit nutzte, um sie aus der gemeinsamen Forschungsgruppe zu mobben und sich ihre Forschungsarbeit unter den Nagel zu reißen und – ja, so gut sieht es mit dem Feminismus aus – anstelle durch ein Disziplinarverfahren mit einer Professur an der Med-Uni belohnt wurde, während die Depressionen meiner Freundin zu einer chronischen Krankheit führten, die dazu beiträgt, dass sie seit drei Jahren kaum noch das Haus verlassen hat und sie nicht weiß, wo und wie und wann sie ihr Medizinstudium noch abschließen soll. Seither höre ich nicht nur zu diesem Thema oft den Satz, man „müsse neutral sein“.
Wer immer diesen Satz ins Leben gerufen hat: eine Barockallegorie des Mutes hätte man aus ihm keine gemacht.
Wer man gerade für die anderen ist, hängt in hohem Maße davon ab, welchen Wert einem zum gegebenen Zeitpunkt von den einflussreicheren Mitgliedern des ständig tagenden neutralen Schiedsgerichtes für Sozialprestige zugemessen wird. Ein bekannter Schriftsteller hat fast immer recht, mag er noch so besoffen und bekokst sein und Blech reden. Ein nüchterner Nachtportier hingegen äußert keine denkwürdigen Ansichten. Oder? So wird es uns doch beigebracht. Das alles begann einst im Kindergarten. Wer eine schöne neue Füllfeder hat, hört plötzlich von den anderen nicht mehr so oft wie früher, dass er stinkt[1]. Fürs spätere Leben lernt man daraus nur: Entweder man steckt viele duftenden Füllfedern, oder man sollte seine Schwächen tarnen. Ich bin da noch nicht zu einer endgültigen Entscheidung gekommen. Die Zahl meiner Schwächen ist so groß, dass mir als Tarnung nur ein Achtmannzelt oder besser noch ein Bergwerk einfiele, aber ich pflege mich nicht zu tarnen, und ich will auch nicht in einem Universum leben, in dem das Glück eines Individuums von duftenden Füllfedern abhängt.
Kurzum: Die Wahrheit liegt nie in der Mitte. Wenn sich zwei streiten, könnte man mit ein wenig LSD und gutem Willen ja noch die Wahrheitsmitte zwischen ihnen verorten. Aber was, wenn jetzt ein Dritter mit seiner dritten Wahrheit dazukommt? Nun? Haben Sie genug LSD dabei, um diese Mitte auch zu finden? Etwas Hässliches mit etwas Schönerem zu überstrahlen, das kann nach hinten losgehen, denn merke: Die Urteile sind da- sie brauchen nur noch gefällt zu werden.
Erwähnenswert erscheint der Hinweis, dass fast jeder von uns sowohl Urteilsempfänger als auch Urteilsaussteller ist. Jeder von uns sitzt in einem virtuellen Gremium, das gewollt oder ungewollt Meinungen produziert, indem es eigene äußert, in erster Linie durch Negativdefinitionen, durch Aus- und Abgrenzung, indem es erklärt, was alles den eigenen hohen Ansprüchen nicht genügt. Der Österreicher ist eine vergleichsbesessene Rabenseele, die sich neutral nennt und der dabei das Kunststück gelingt, sich weder zu schämen noch sich auszulachen.
Der Begriff der Neutralität erweist sich bei näherer Analyse als problematisch und könnte in Wörterbüchern nachkommender Generationen unter den Hashtags „Staatsvertrag-Schmäh“ bzw „Staatsvertrag-Scam“ erklärt werden. Wahre Neutralität kann es nicht geben, denn ihre Voraussetzung wäre Objektivität, die uns Menschenseelchen niemals gegeben sein wird. Objektivität kann nur an Orten gelingen, an denen sich Menschen mögen, obwohl sie sind, wie sie sind, und so einen habe ich zwischen hier und Alpha Centauri noch nicht gesehen. Menschen brillieren mehr in der Disziplin des Charakter-Schlammschiebens[2] als in der Zurschaustellung von Mut und Solidarität, und damit muss man sich abfinden.
Neutralität ist nicht zuletzt ohnehin nur die basisdemokratische Spiegelfechterei von Feiglingen. Dantes großer Satz über Neutralität sollte in allen Schulbüchern stehen: „Die heißesten Plätze in der Hölle sind für diejenigen reserviert, die in Zeiten einer moralischen Krise ihre Neutralität bewahrt haben.“
[1] Kein autobiographischer Hintergrund. Vielleicht stank ich einst, das muss einem selbst nicht immer auffallen, aber eine schöne neue Füllfeder in meinem Besitz wäre mir garantiert aufgefallen.
[2] Schlammschieben, das: ein Begriff aus der Pornoindustrie, der die Praxis bezeichnet, im Rahmen sogenannter Gangbangs einer ins Zentrum der Ereignisse gerückten Frau von spendewilligen Männern immer neue Mengen Ejakulat in die dafür gerade diensthabende Körperöffnung schieben zu lassen. Die ästhetische Qualität des Begriffs ist Gegenstand kontroverser Diskussionen.
Ich habe die Welt von Anfang an als Irrtum interpretiert. Die Sklaverei, der Holocaust, die Tatsache, dass uns Tiere schmecken, unser Schicksal, das uns womöglich schon bei unserer Geburt ein nur für Eingeweihte sichtbares Ablaufdatum auf die Stirn tätowiert hat, was das höhnische Grinsen erklären könnte, das manche Leute nie ablegen – wir tun ihnen Unrecht, wenn wir sie für blasierte Idioten halten, sie sind, und wer könnte ihnen ihr Verhalten in diesem Fall verdenken, womöglich nur Auserwählte mit der Kernkompetenz, die Schicksalsgeschichte ihrer Mitmenschen in beide Richtungen auf deren Stirn lesen zu können:
Wenn sich die Schlüsselmomente eines Lebens auf so engem Raum stenographisch notieren lassen und solche Leaks geradezu Alltagscharakter angenommen haben, solche Mengen an vermeintlichem Süffisanzgrinsen von sich restlos überzeugter Menschen sind beim Friseur, im Gasthaus und im Fernsehen zu beobachten, wäre dies nur ein weiteres stützendes Indiz für meine Irrtumstheorie, die auf der Annahme eines überforderten Ferialpraktikanten auf Gottes Thron fußt, und zwar vom ersten Tag an.
Dafür gibt es zahlreiche Evidenzen. Jemand, der ein Produkt nach seinem Ebenbild kreiert, muss sich zumindest den Verdacht des Narzissmus gefallen lassen, aber jemand, der ständig sein Ebenbild delogieren lässt oder gar durch Sintfluten die Toilette hinunterspült, weil sich sein Projekt als störrisch und fehlerbeladen erwiesen hat, bei dem liegt die Diagnose Selbsthass nahe. Mit solchen Leuten ist nicht zu reden. Man stößt auf Rechthaberei pur. Alles, was Sie in ihrem Leben gut hingekriegt haben, verdanken Sie der Liebe und dem Zutun Gottes. An den Katastrophen hingegen sind ganz allein Sie selbst schuld, denn Sie hätten auf ihn hören müssen. Ja wie denn, wenn er nicht mit Ihnen redet, sondern nur gelegentlich die Mutter seines Sohnes handverlesenen Bauernkindern als Vision schickt? Das ist ja wie Stille Post! Sie sollen sich die aktive Gottesagenda auf verschlungenen Wegen wie einen RAF-Kassiber besorgen, damit nur ja viel Raum für Interpretation bleibt.
Kleiner Tipp: Wenn Sie dereinst auf dem Weg nach draußen Gott zu einer Unterhaltung beiseite nehmen will, machen Sie ja nicht den Fehler, aus Höflichkeit oder Eitelkeit seiner Einladung Folge zu leisten. Er will Sie bloß zu einem neuen Abo überreden. Zehn Leben zum Preis von acht, Glücksfaktor nie dagewesene 4% Minimum. Außerdem ist er nicht einmal allwissend, sonst hätte ihm die Welt als theoretisches Modell genügt. Ihre Unterhaltung dient dem Zweck, Ihre Seele zu lokalisieren, so wie man in Krimis den Anruf des Erpressers nach einer Minute zurückverfolgen kann. Fragt sich nur, wer hier der Erpresser ist! Es gibt garantiert weniger verpfuschte Welten, aber die Zensur des über die Jahrhunderte gewachsenen Gotteskartells funktioniert wie eine geölte Maschine.
Bis zu dem Tag, an dem der Keiler auf Sie zukommen und gleich erklären wird, Sie seien ja sein Lieblingsmensch, ist es hoffentlich noch eine Weile hin. Wir werden uns in nächster Zeit an dieser Stelle den Möglichkeiten widmen, die uns bereits jetzt und hier ein gutes Leben führen ließen, ganz ohne Abozwang. Wohnen kann betreut werden, das beweist der Seehof mit herausragendem Erfolg, Wo jedoch Lebensbetreuung von der Wiege bis zur Bahre versprochen wird, egal ob von SED oder Kirche, handelt es sich meistens um Scam. Das können sogar wir selbst besser.
Liebe O,
Betreutes Wohnen oder Aus dem Leben des Einzig Wahren Nachtportiers lautet der vollständige offizielle, etwas großspurige Titel dieser Kolumne, die das Scheitern meiner bürgerlichen Existenz thematisiert, das ich mittlerweile dank des vor Ort schwelenden nihilistischen Optimismus als vorübergehend zu bezeichnen geneigt bin. Du bittest mich um eine Interpretationshilfe; diesen deinen Wunsch flankieren Zwinkersmileys, die du gewöhnlich nicht verwendest. Was hat es damit auf sich?
Der Titel meiner Kolumne deutet an, ich wäre nachtaffin und nachterfahren, und lasziv sei er noch dazu, schreibst du, denn was hätte man sich denn unter betreutem Wohnen vorzustellen? Dem Reinen ist alles rein, sage ich, und wer an Pepsch denkt, meinen Dienstherrn, der denkt nicht an Escort. Und wenn doch, dann an das Auto. Die mit den halbseidenen Kontakten sind seine politischen Mitbewerber.
Mitbewerber: So nennt man Konkurrenten neuerdings. Was ich Sepp Schellhorn unbedingt einmal fragen muss: Gehören politische Mitbewerber eigentlich immer einer anderen Partei an? Das erschiene mir unlogisch. Gerade der Begriff Mit-Bewerber suggeriert doch inhaltliche Nähe. Daraus folgt, dass das Bekleiden (!) eines politischen Amts innerparteilich eigentlich eine Art Betreuendes Wohnen mit gemeinsamem Hebel (Leverage) ist und für den Posten eines Parteivorsitzenden im Grunde Hotelierserfahrung eine wünschenswerte Voraussetzung wäre, wenngleich der Begriff Betreutes Wohnen eine Art sexuellen Sommeliersunterton hat und ein Parteivorsitzender im Grunde seit jeher nichts anderes als ein Puffbetreiber ist.
Ja, du liegst nicht ganz falsch. Der Titel Betreutes Wohnen spekuliert ein wenig mit dem Triebstau des Lesers, der, wie die meisten Menschen, die nicht gerade am Anfang einer Liebesbeziehung stehen, unter Sexmangel leidet, was wegen des Verlusts an Sozialprestige niemand je zugeben würde, nicht einmal sich selbst gegenüber. Ungeliebt zu sein raubt uns weniger soziales Kapital als ungefickt zu sein, was eigentlich pervers ist und ungeheuer traurig.
Liebe O, die es nicht gibt, denn du bist nur ein literarischer Kniff, um im Leser hinterrücks das Gefühl von Privatheit, gar Intimität zu erzeugen, liebe O, ich muss zurück in mein Zimmer, um mein Workout fortzusetzen und die Leser mit ihrer Neugier alleinzulassen. Diese O und der Ich-Erzähler: Haben die einmal miteinander oder nicht? Fragt sich das nicht so manch verdorbener Leser?
Erwischt?
Ich kann dich beruhigen: Nein. Das fragt sich nicht mancher Leser, das fragt sich unbewusst jeder, denn Liebe und Sex und somit Betreutes Wohnen sind das Einzige, was uns in dieser Welt wirklich interessiert.
Vor meiner Zeit als Nachtportier und Analyst von Kryptowährungen war ich vollamtlicher Schriftsteller, übte somit einen Beruf aus, den man sich zumindest am Anfang nur leisten kann, wenn man noch einen zusätzlichen Beruf ausübt. Zumindest solange man so schlecht schreibt, dass es anderen Leuten auffällt, braucht man ein zweites Standbein (ich liebe hirnrissige Floskeln, und das zweite Standbein ist ziemlich rissig).
Womit kann man im Alter von 20 Geld verdienen? Am ehesten mit Dingen, die einem Spaß machen, erfuhr ich am Arbeitsamt von einer ziemlich attraktiven Sachbearbeiterin. „Was macht Ihnen denn Spaß?“ fragte sie mich in kokettem Ton. Als ob der notwendig gewesen wäre.
„Von vorne, von hinten, von der Seite, oral, anal, Dreier, Vierer, Reverse Gangbang, CMNF, alles, was ich mit meinem dritten Standbein machen kann…“
Nein. Leider. Ich habe das nicht gesagt, damals hatte ich allerhand Zivilisationsballast noch nicht abgeworfen, und Stil und Skrupel verdarben mir so manchen Abend.
Von da an fragte ich mich, was die schlimmere Folter ist: Etwas, was man gern tun würde, nicht tun zu könne, oder nicht tun zu dürfen. Erst vor ein paar Jahren habe ich für mich die Antwort gefunden. Wie lautet Ihre?
Für die Dinge, die mir Spaß machten, wollte mich also niemand bezahlen. Kurz erwog ich, mich für den Objektschutz zu bewerben, aber mit 20 sah ich so unschuldig aus wie ein Engelswesen, noch zarter und umgänglicher als heute, und trat zu sanftmütig auf, um einen würdigen Nachtportier und Nachtwächter abzugeben. Und so wurde ich Taxifahrer.
Ungefähr zu dieser Zeit glaubte ich zum ersten Mal zu bemerken, dass ich gelegentlich Erwartungshaltungen enttäusche.
Indizien: 1) Manchen meiner Kunden standen nach der Fahrt mit mir die Haare zu Berge. Dabei hatte ich sie eigens gefragt, ob ihnen ein zügiger Fahrstil recht wäre. 2) Andere Kunden beklagten den vorübergehenden Verlust des Gehörsinns, dabei hatte ich mich höflich erkundigt, ob sie Led Zeppelin mögen. 3) Einmal musste ich eine Schicht absagen, weil ich betrunken war, oder besser, weil ich ZU betrunken war, oder besser, weil ich mich für zu betrunken HIELT. Mein Chef konnte es nicht ausstehen, wenn einer seiner Wagen in der lukrativen Nacht von Samstag auf Sonntag in der Garage stand, und er HIELT sich nie für irgendetwas ZU betrunken.
„Jetzt muss ich deine Schicht übernehmen, du Oa…!!“ war das Letzte, was ich hörte, ehe er auflegte.
Es war tatsächlich das Letzte, was ich von ihm hörte. Die Blutprobe, die man seiner nach dem Zusammenstoß mit dem Güterzug schrecklich entstellten Leiche entnahm, ergab eine für ihn mittlere Alkoholisierung: 2,3 Promille. Seine Mutter verweigerte mir bei der Beerdigung den Handschlag.
Ja, und einmal, viel später, als es mit den Depressionen so schlimm war, dass ich oft tagelang nicht schlief, bis ich ohnmächtig wurde, wartete ein Medium zwei Tage nach Redaktionsschluss noch immer auf einen Text von mir, nicht ahnend, dass ich mit einer blutenden Kopfwunde und einem angeknacksten Halswirbel zuhause auf dem Küchenboden lag und sich die Dunkelheit und die Angst um mich stritten, bis ich den beiden in einem unbeobachteten Moment entwischen konnte. Und so wissen Taxiunternehmer und Chefredakteure: Mit mir ist es manchmal schwierig. Nur, was soll ich da erst sagen? Ich werde mich ja den ganzen Tag nicht los. Aber da sitzen wir alle im gleichen Boot – jeder in seinem.
Heute saß ich nach dem Wachdienst mit einer angereisten Kollegin auf der Terrasse beim Frühstück. Zu meinen Füßen bettelte Herr Herrmann um Schnitzelreste, hoch über mir hatte ich einen Geier auf Nahrungssuche entdeckt, was ich durchaus zu interpretieren wusste, und die Kollegin las mir die aus ihrer Sicht amüsantesten Artikel des Wochenendfeuilletons vor. Irgendwann stieß sie auf eine Buchbesprechung, in der es vordergründig um das Werk eines Wüstlings ging, in Wahrheit aber um den Rezensenten selbst.
Während ich verträumt versuchte, den Duftnuancen in Herrn Herrmanns Darmwinden das Geheimnis der Zusammensetzung seines Frühstücks zu entlocken, wurde ich von dem Kritiker aus der Zeitung dahingehend informiert, ich würde oft und gern über Sex schreiben, was mit zwei Zitaten aus den einzigen zwei Sexstellen belegt wurde, die das betreffende Buch enthält. Ferner wurde darauf hingewiesen, in meinen Büchern werde seit jeher schwer gesoffen. Es klang nach: Wahrscheinlich macht der das auch noch oft und gern. Oder knapper: Der ist selber so.
Ich Sau verstand.
Michael Köhlmeier schrieb einmal sinngemäß, Rockmusik habe die Gitarre erst da hingehängt, wohin sie gehört, nämlich auf Schwanzhöhe. Als ich dies las, staunte ich. Nicht wegen des Inhalts, denn der war richtig, nicht wegen Köhlmeiers Sachkenntnis, denn der war schon eine Elektrogitarre, ehe die meisten noch nicht einmal eine Maultrommel waren, sondern wegen des Schwanzes. Dass ihm die Redaktion den so hatte durchgehen lassen. Ich persönlich glaube ja, nur Ärzte und Sanitäter können einen Penis haben, die anderen haben zumindest begrifflich das Zeug zum Rock’n’Roller. In unserer restaurativen Zeit, in der die Primärtugenden eines Künstlers Wohlerzogenheit und Umgänglichkeit sind, Zuverlässigkeit und Kompromissfähigkeit, muss ein Schriftsteller antiseptisch sein, und das sowohl biographisch als auch sprachlich. Aber ich schreibe ja gar nicht so oft über Sex. Und wenn doch, na und? Ich schreibe wenigstens nur darüber, es gibt Leute, die machen das hundertprozentig konkret, und das oft und viel und gern. Was sind denn das dann erst für welche. Über die könnte sich der Redakteur mal aufregen. Wieso man einer so zahmen Entität wie einem Buch bzw. seinem Schöpfer gleich die Ehre absprechen muss, möchte ich wirklich wissen. So wie ich wissen möchte, wie viele Viagra die Herren, die im Thomas-Bernhard-Zimmer wohnen, gestern Abend geschluckt haben. Mehrfach musste ich in der Nacht eine erboste Dame beruhigen, die sich über den Liebeslärm beschwerte. Gut, es war wirklich etwas laut, und ich gab ihr dahingehend recht, dass Stefan seinen Harald wirklich nicht so oft loben müsste, aber nicht deswegen, weil ich Obszönitäten nicht aufgeschlossen gegenüberstehen würde, sondern weil ich im Laufe dieses Exzesses immer neugieriger wurde, ob es sich bei diesem Harald a) um seinen Freund oder b) um Stefans eigenen Penis oder c) um den seines Freundes handelte. Es gibt ja Männer, die sich selbst beim Sex anfeuern, wahrscheinlich weil es sonst niemand tut, oder vielleicht handelt es sich um ehemalige Fußballstars,
Solche Fragen müssen ewige Rätsel bleiben, sonst nimmt man ihrer Geschichte jede Heilsversprechung. Statt im Gästebuch nachzusehen, welche Gäste im Bernhard-Zimmer residierten, weil ich ohnehin nur zwei und nicht vier Vornamen finden würde, las ich wieder in Hunter Thompsons „Rum Diary“. Ein großartiger Roman, sein einziger übrigens, gewöhnlich schrieb er etwas, das man fallweise Reportage nennt oder gleich Gonzo. Denn Hunter Thompson war es, der den Begriff des Gonzo-Journalismus prägte, jener Textsorte, die den subjektiven Berichterstatter ins Zentrum der Ereignisse rückt.
Die Sache hat nur einen Haken: Wenn man „Ich“ sagt, sollte man es auch bemerken.
Ein Nachtportier ist wie ein Schriftsteller: er arbeitet immer, aber eigentlich hat er immer frei.
Beim Schriftsteller verhält es sich so, dass in seiner arbeitsreichen Freizeit die Schriftstellerei durch sein Unterbewusstsein marodiert und ähnliche Spuren hinterlässt wie eine Horde russischer Hooligans in den Fußgängerzonen der Städte, in denen Auswärtsspiele ausgetragen werden (mit Steinen gefüllte Arbeitsfäustlinge sind der letzte Schrei), während der Nachtportier sich der digitalen Zukunft hingeben kann, sofern gerade kein Einbrecher den Seehof bedroht. Um mir eine Freude zu machen, bezahlt mein Dienstherr, ein echter Mäzen alten Schlags, ein bis zwei Mal die Woche arbeitslose Schauspieler dafür, dass sie maskiert ums Haus schleichen und sich von mir festsetzen lassen, damit ich mich nicht sinnlos fühle. Was gar nicht nötig wäre, denn ich bin noch nie sinn-los gewesen, außer damals, als ich im Koma lag, das ist eine ungleich tiefere Nacht als der gewöhnliche Schlaf, das ist der Marianengraben. In mir klingen ständig so viele Sinnesreize nach, dass ich froh bin, mich gerade mehr mit unserer Zukunft mit der Blockchain-Technologie und ihren Ablegern, den Kryptowährungen, zu beschäftigen, weil die intensive Auseinandersetzung mit Zahlen die poetische Phantasie dämpft. Ich bin kein Finanzberater, und dies ist keine Finanzberatung, aber wer sich in diesen Tagen bei einer Kryptobörse registrieren lässt und sich 100 EOS kauft, könnte sein Kapital binnen 1 – 2 Jahren womöglich verzwanzigfachen. Dies nur als ein Beispiel, womit sich Nachtportiere heute herumschlagen: Ich habe mich zum Fundamentalanalysten für Kryptowährungen umgeschult.
Nicht ganz, ehrlich gesagt. Das Schreiben oder Schreibdenken kommt immer dann hervor, wenn ich es für gebannt halte. Hemingway hat uns gelehrt, den wahrsten Satz zu schreiben, der uns einfällt. Meiner lautet gerade:
Vorgestern kam eine meiner Ex-Freundinnen zu Besuch, die nach ein paar Minuten meinte, ich hätte eine Dusche nötig.
Das ist kein angenehmer Satz. Vor allem nicht für den, der ihn schreiben muss. Aber Hemingway hat uns auch gelehrt zu schreiben, was weh tut. Körperliche Vernachlässigung ist eine Begleiterscheinung von Depressionen, darüber redet und schreibt aber niemand. Ich bin Steffi sehr dankbar, denn sie hat mir meinen Willen wiedergegeben: den zum Duschen und den zum Schreiben. Ich frage mich bloß, wieso Frauen für mich immer erst nach unserer Liebesbeziehung das Prädikat Besonders wertvoll verdienen. Nein, das frage ich mich jetzt nicht, ich darf mich auch nicht gleich wieder alles auf einmal fragen.
Als Einzig Wahrer Nachwächter des Seehof halte ich jede Nacht vor Gott und den Sternen über mich selbst Gericht. Das sind manchmal ziemlich dunkle Stunden, denn bei mir besteht seit jeher kein überdurchschnittlicher Weisheitsverdacht. Einer meiner besten Freunde, der Maler und Bildhauer Erwin Michenthaler, äußerte sich dazu einmal sinngemäß ungefähr dahingehend, er hoffe, ich würde niemals in einen Weisenrat berufen werden. Seinem Sermon entnahm ich, dass er mich dazu nicht etwa für intellektuell, sondern moralisch unberufen hielt. Da konnte ich ihm nur recht geben, und daran hat sich bis heute nichts geändert. Ich fühle mich anderen nicht moralisch überlegen, und für den Fall, dass sich das ändert, ist ein Sklave beauftragt, den ganzen Tag hinter mir zu stehen und mir zuzuflüstern: „Bedenke, dass auch du nur ein Trottel bist.
Man kann sagen, ich habe meine eigene Moral. Im Gegensatz zu manch anderen bilde ich mir nichts auf sie ein, ich will sie niemandem verkaufen, und ich versuche anderen nicht mit meinem Wunsch nach einem offiziellen Zertifikat für allumfassende Anständigkeit auf die Nerven zu gehen. Leute mit solchen Charakterzügen erkennt man in den sozialen Medien an ihrer Begeisterung für Petitionen aller Art, Solidaritätskundgebungen mit vermeintlichen Minderheiten, ihrer rätselhaften Gier, für gute Menschen gehalten zu werden, und ihren Bekenntnissen zu einem linken Weltbild. Diese Leute sind in ähnlichem Maß links, wie Aasgeier Veganer sind. Ihre Ausländerfreundlichkeit kaschiert inländerhass, hinter der Bezeichnung Feminismus verbirgt sich die Sehnsucht nach einem gesamtgesellschaftlichen Penisverbot, und was am allerschlimmsten ist: Sie sehen Menschen tendenziell sowieso schon wenig nach, aber ein gutes Leben verzeihen sie niemandem. Am allerwenigsten sich selbst.
Aus gegebenem Anlass wurde mit der Hotelleitung vereinbart, alle Seehof-Gäste bis auf Weiteres vom Nachtwächter auf Lebensfreude kontrollieren zu lassen.
Seit vier Wochen bin ich Nachtportier im Seehof, und allmählich stellt sich eine gewisse Routine ein. Nachdem ich die ganze Nacht über Strolche und Banditen daran gehindert habe, den Seehof zu überfallen, sehe ich im Morgengrauen draußen nach dem Rechten. Dies erscheint mir angezeigt, seit ich vergangene Woche einen betrunkenen Journalisten nahe dem Seeufer aufsammeln musste, der sonst erfroren wäre. Eine schöne Schlepperei, einen Journalisten vom See zum Seehof zu schleppen.
Man sollte annehmen, Journalisten seien Leichtgewichte, aber da irrt man. Ich möchte zum Beispiel nicht gezwungen werden, Christian Seiler zu tragen, aber das sieht umgekehrt vermutlich auch so aus. Jedenfalls, nachdem ich mich mit dem Alkoholjournalisten abgerackert hatte, stellte sich heraus, dass er nicht zum Haus gehörte. Da ich nur für die Verwahrung hauseigener Journalisten zuständig bin, legte ich den Mann, dessen lautes Schnarchen im Winter eine Lawine ausgelöst hätte, vor das Kaufhaus der ehrbaren Familie Lorenz, wo er bestimmt von jemandem, dem er gehörte, gefunden werden würde.
Nach meinem Rundgang esse ich zu Abend, was in meinem Fall bedeutet, ich nehme ein Frühstück ein. Dabei frage ich mich manchmal, ob ich in einem Hotel bin oder in einer Zeitungsredaktion. Es ist ja nicht so, dass die Journalisten nur am Seeufer herumliegen würden, der ganze Seehof wimmelt davon. In jeder Ecke sitzt ein Fleischhacker, an der Theke stehen Nowaks, die Chefredakteure grassieren hier geradezu.
Man muss sich fragen, inwiefern Kochen und Schreiben miteinander in Verbindung stehen. Ich zum Beispiel kann überhaupt nicht kochen. Es gibt aber Menschen, die meinen, ich könne auch nicht schreiben, und während meiner zunehmend länger werdenden Lebensrücksetzern stehe ich selbst diesem Gedanken nicht fern.
Den Begriff Rücksetzer habe ich von der Börse, genauer gesagt von der Kryptobörse. Eine Aktie macht ja meistens drei Schritte vorwärts und dann einen zurück. Oder 5 vor, 2 zurück, manchmal sogar 6 vor, 1 zurück. 6 vor, 7 vor, 15 vor, das gibt es nicht, es gibt dazwischen Rücksetzer. Auch wenn es abwärts geht: 3 zurück, 1 vor. Oder 5 zurück, 2 vor.
Wenn es nach einem Sturz einer Aktie ein Stück nach oben geht, ehe der Kurs weiter stürzt, nennt man das an der Börse „dead cat bouncing“: Das Vieh lebt nicht mehr, aber die Kräfte der Natur lassen es noch einen Satz nach oben machen, ehe es liegenbleibt bzw. im Fall der Aktie noch tiefer sinkt.
So ist es im Leben auch: Wenn es aufwärts geht, weiß man nie, ob man sich wieder auf der Siegerstraße befindet oder ob man eine tote Katze ist.
Ich habe beschlossen, dem guten Beispiel meiner ehrenwerten Vorgänger zu folgen und ein Tagebuch anzulegen, das mir Zeitvertreib in Mußestunden bescheren und meinem geschätzten Nachfolger im Amte des Seehofschen Nachtportiers gute Dienste leisten soll.
Beim Gedanken an meinen Nachfolger, der diese Zeilen dereinst lesen wird und den ich hiermit gewissermaßen auf dem Wege temporaler Telepathie grüßen möchte, muss ich lächeln. Zweifellos wird es sich auch bei ihm um einen zerlumpten Künstler handeln, dessen Lotterleben seiner bürgerlichen Existenz die Luft abgeschnürt hat. Es kann nur so geschehen, denn Sepp Schellhorns (VI.? VII.? VIII.?) Herz schlägt für die Gestrauchelten. Ich hoffe nur, die anderen erfahren es nie. Ich will sie nicht dahaben, ich bin mir selbst genug. Stimmt nicht, nein, ich bin mir manchmal selbst zu viel.
Einige Wochen erst lebe und arbeite ich im „Seehof“, und schon wird mein Weltbild ins Wanken gebracht – durch die Literatur, wie könnte es anders sein, stellt sie doch die kompaktere Wirklichkeit dar, eine weniger frivole, eine hoffnungsvollere, eine entschlossenere Wirklichkeit als die unsere. Jede Nacht finden sich einige Stunden, in denen ich in den Geheimen Tagebüchern der Seehofschen Nachtwächter lesen kann, über die gemunkelt wird, der Autor des ersten Bandes sei mit dem Teufel im Bund gestanden. Wie bei diesem Bund üblich, hat der Gehörnte den Nachtwächter über den Tisch gezogen und neben der Seele auch zwei Flaschen Birnenschnaps aus dem hauseigenen Keller mitgehen lassen. Der Mär nach lastet seit jenem Tag auf dem Amt des Nachtportiers ein Fluch, der dafür sorgt, dass jeder Seehofsche Nachtwächter über kurz oder lang vollkommen wahnsinnig wird. Damit nicht genug, wird jeder, der in den Tagebüchern liest, seinerseits unweigerlich verrückt, wovon eigentlich abzuleiten wäre, dass auf jeden, der diesen Satz liest, die Umnachtung wartet.
(Über diesen Aspekt noch nachdenken, EWN)
Informationen von so heikler Natur beziehe ich durch Einschüchterung Ortsansässiger, die mir leider mehrheitlich konditionell überlegen sind, weswegen ich bei Bedarf einer zwitterhaften Greisin mit üppigem Damenbart auflauere. Sie und der einbeinige Ziehharmonikaspieler können mir nicht standhalten. Dieser Musikant, der aussieht wie ein Reservekobold, soll mit meinem Amtsvorgänger eng befreundet gewesen sein (wie eng, kann ich mir aufgrund seiner gezierten Gestik leider nur zu gut vorstellen). Er vertritt unerhörte Theorien, zum Beispiel über die Licht-Laut-Abfolge, die sich häufig und global irgendwo zwischen Erde und Weltall ereignet, zumeist von einem heftigen Regenschauer begleitet. Wenn nachts am Himmel ein Lichtblitz zu sehen ist, nimmt man gemeinhin an, es mit einem vertrauten Wetterphänomen zu tun zu haben, doch der Einbeinige schwört Treu und Glauben, dass in diesen grellen Momenten Gott höchstselbst auserwählte Menschenkinder fotografiert. Das muss stimmen, das kann sich kein Mensch ausdenken.
Nachts gewähre ich den Gästen des Seehof kraft meines Amtes als Einzig Wahrer Nachtportier Schutz, tagsüber schützt uns alle der Seehof. Er schützt uns vor den Zumutungen der Welt, so wie er uns vor unseren eigenen Lügen schützt. Das uns durch seine Größe alltäglich überfordernde Draußen darf nicht herein, das lassen die Schellhorns nicht zu, vielleicht sogar ohne dass ihnen ihr ehrenvolles Walten als Türhüter und existentielle Gangaufsicht selbst bewusst wäre, und mit unseren Dämonen können wir es plötzlich aufnehmen, was uns aber auch erst auffällt, wenn wir schon eine Weile unverwundet im Feld stehen.
Wenn man jemanden beschützt, heißt das nicht, dass man ihm etwas erspart, und der Ort Seehof geizt nicht mit Informationen und Erkenntnissen. So manches, was ich nie über mich wissen wollte, hat mir der Seehof diktiert.
Dabei nimmt er einem bisweilen etwas Wertvolles, so wie damals, als mir ein langer, schamloser, quälend erregender Blick einer Frau in der Haussauna bewusst machte, wie wichtig es für meine innere Ordnung ist, regelmäßig diese mal eher gleichgültige, mal schmeichelhaft intensive Auseinandersetzung einer Frau mit dem Anblick meines Geschlechtsteils zu erleben. Als ich in meiner liebenswerten Naivität eine kleine Umfrage zum Thema machte und mit viel Entrüstung auch von Seiten vermeintlich weltoffener Bekannter konfrontiert wurde, hatte ich eine Weile mit einiger Verunsicherung zu kämpfen.
Der Seehof gibt einem allerdings etwas dafür zurück: In diesem Fall bald darauf die erleichternde Erkenntnis, dass nicht der Exhibitionist der Fehler im System ist, zumindest solange er sich nicht vor Kindern im Park entblößt, sondern der Fehler bei denen liegt, die sich über ihn das Maul zerreißen. Zwischen aggressivem Spott gegen Exhibitionisten oder Voyeure oder SM-Liebhaber und aggressivem Spott gegen Homosexuelle besteht kein moralischer Unterschied. Was immer uns erregt, es geht niemanden etwas an, solange wir uns keiner Strafrechtsverletzung schuldig machen. Aus diesem Grund habe ich Respekt für Pädophile, die sich freiwillig in Therapie begeben, um ihre Phantasien, für die sie nichts können, nie Wirklichkeit werden zu lassen. Solche mutigen Menschen empfange ich mit Freundlichkeit und Frohsinn. Für den Empfang derer, die diesbezüglich Schuld auf sich geladen haben, hängen bei mir zuhause neben Freundlichkeit und Frohsinn Morgenstern und Baseballschläger an der Wand.
Eine Freundin meinte einmal zu mir, wo immer ich bin, klafft ein Riss im Universum. Ein größenwahnsinniger Satz, der mir selbstverständlich gefiel, weil ich etappenweise größenwahnsinnig bin. Als ich neulich im Geheimen Tagebuch meines Vorgängers im Amt des Einzig Wahren Nachportiers las, einer Überlieferung zufolge befände sich genau unter dem Seehof ein enormer Riss im Universum, war ich baff. Nun wächst zusammen, was zusammengehört.
Es stellt sich die Frage, wer der Seehof ist. Kaum jemand von uns Ortskundigen würde leugnen, dass hier etwas existiert, das einen eigenen Charakter hat. Ist der Seehof unser kollektives Unbewusstes? Nein, das kann nur ich sein. Leider. Aber wer oder was ist der Seehof? Fest steht nur: Er lebt, er ist, er interagiert. Was immer der Seehof ist, er ist ein Lebewesen.
Dies ist meine letzte Haushalts-Kolumne in der F.A.S., und ich muss aus meiner Wohnung ausziehen. Das passt zusammen, denn ein Stadtstreicher, der über das Wohnen schreibt, ist wie ein Kritiker, der über Bücher schreibt, also voller Anmaßung und bar jeder Kompetenz. Nur dass Schriftsteller ebenso voller Anmaßung sind, weil Anmaßung und Größenwahn Voraussetzung für große Bücher sind. Als Wohnungskritiker, der mangels Unterkunft an seinem Arbeitsplatz wohnt, wie ich vor vielen Jahren in meinem Taxi, käme ich mir allerdings seltsam vor, wäre die neue Unterkunft, an der ich der alten Tätigkeit nachgehen kann, nicht etwas Besonderes. In Hinkunft wohne ich dort, wo diese Kolumne in Hinkunft betreut wird, nämlich im „Seehof“ in Goldegg, das bei Bischofshofen liegt, das bei Salzburg liegt.
Seehof klingt wie ein Schulmodell, aber Sepp und Susi Schellhorns „Seehof“ ist keine Erziehungsanstalt, sondern eher eine Zufluchtsstätte für in die Jahre gekommene missratene Kinder, übersetzt: ein Gastronomie- und Herbergsbetrieb mit Haubenküche und Künstlerstipendien, wo Maler, Manager, Politiker, Schriftsteller, Journalisten und ähnliches Gelichter für die Zeit ihres Aufenthalts vergessen dürfen, wer oder was sie geworden sind.
Denn egal, wer oder was man geworden ist, gelegentlich sollte man es abstreifen. Ob man Erfolg hat oder Misserfolg, ob man scheitert oder siegt, ab und zu muss man jemand anderer sein, und wenn einem niemand anderer einfällt, kann man versuchen, sich an den zu erinnern, der man früher war, als alles noch anders war. Den Wenigsten gelingt das auf Zuruf, es bedarf des richtigen Zeitpunkts und der passenden Örtlichkeit. Aber der richtige Zeitpunkt ist jeder Zeitpunkt, alles andere sind Ausreden. Der richtige Ort hingegen findet sich tatsächlich nicht so leicht. Ich kenne nur eine solche Zauberstätte. Dort wohne und arbeite ich von nun an, was bedeutet, dass von nun an diese Kolumne im virtuellen „Seehof“ zu besichtigen ist.
Der „Seehof“ ist ein vornehmes Haus und drängt sich niemandem auf, daher empfiehlt es sich den Interessierten, eine kurze Nachricht an office@derseehof.at zu schicken und darin die Absicht zu äußern, von nun an meiner Kolumne „Betreutes Wohnen“ folgen zu wollen. Alternativ besuchen Sie derseehof.at, wo Sie nicht nur meine Kolumne, sondern auch einen Hinweis auf ein von Sepp Schellhorn jährlich organisiertes Festival finden werden. Es trägt den Namen „Das gute Leben“.
Möge es bald beginnen.
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